Hochschulen leiden unter Athens Sparpolitik und werden von Bürokraten gegängelt. Dieter Lenzen und seine deutschen Kollegen kommen ihnen jetzt zu Hilfe.

Rhodos. Anastasios Kodakos erhebt das Glas. „Ich habe die besten drei Dinge aus Deutschland mitgebracht: ein deutsches Auto, eine deutsche Frau und deutsche Bildung – vor allem deswegen freue ich mich sehr, sie hier begrüßen zu dürfen.“ Heiterkeit. Der Direktor der Universität der Ägäis hat als Gastgeber ein Abendessen auf Rhodos arrangiert – Brot, Oliven, drei Gänge und reichlich griechischer Wein.

Am Tisch sitzen die G30 der Hochschulpolitik: die Spitzen der deutschen und der griechischen Hochschulrektorenkonferenz, Universitätspräsidenten, Botschafter – darunter Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg und Vizepräsident der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz.

Schon vor 20 Jahren hatte Kodakos Lenzen zu erziehungswissenschaftlichen Vorträgen nach Rhodos eingeladen. Aus der Zusammenarbeit ist eine Freundschaft geworden. Und eine Mission: Die Rettung der griechischen Hochschulen, an deren Lehrstühlen sich die Krise festgesetzt hat.

Zwei Tage haben die Delegationen dafür Zeit. Darüber, was herauskommen muss, hatte man sich bereits bei einem ersten Treffen im Januar geeinigt: eine gemeinsame Absichtserklärung zur Kooperation der Hochschulen beider Länder und eine Resolution, die die Politik zum Einlenken auffordert – Griechenland dazu, seine Universitäten von weiteren Sparmaßnahmen zu verschonen, Deutschland, sich für die Entwicklung und den Erhalt des griechischen Hochschulsystems einzusetzen. Es ist eine Mission des guten Willens – die unter schwierigen Vorzeichen steht.

Es ist eine Eigenheit des griechischen Hochschulsystems, die die Lage so kompliziert macht. Deutsche Universitäten können weitgehend selbst entscheiden, wie sie die ihnen zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel auf Forschung, Lehre und Verwaltung verteilen – und wo sie bei Kürzungen den Rotstift ansetzen. In Griechenland hingegen wird die Anzahl der Stellen, die die Universitäten besetzen dürfen, vom Bildungsministerium diktiert – für jede Hochschule einzeln, direkt aus Athen. Die Bedarfsanforderungen der Universitäten werden dabei schlichtweg ignoriert.

Vor allem die Verwaltung ist betroffen. Auf einmal gebe es keine Mitarbeiter mehr in den Bibliotheken, keine Putzkräfte, niemanden, den man anrufen kann, wenn der Beamer nicht funktioniert, heißt es. Dass bekommen auch die Studenten deutlich zu spüren: Die Sekretariate sind nur wenige Stunden in der Woche geöffnet. Es fehlen schlichtweg die Basisstrukturen, um die Kooperationen und Forschungsprogramme umzusetzen. Auch im Lehralltag ist das Problem deutlich zu spüren. Eine Studentin erzählt, dass sie ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit beenden kann, weil es derzeit keinen Dozenten für den Türkisch-Unterricht gibt.

Dem Personalmangel steht eine wachsende Zahl an Studenten gegenüber. Auch hier haben die Universitäten kein wirksames Mitspracherecht – weder bei der Anzahl, noch bei der Auswahl. Die Entscheidungen darüber trifft das Bildungsministerium. „Wir fordern 15 neue Studenten an, sie schicken uns 150“, sagt Georgia Vasilaki, Regionaldirektorin der Universität der Ägäis auf Rhodos.

Während die Stellen an den Universitäten auf dem Festland den Hochschulrektoren zufolge um bis zu 50 Prozent gekürzt wurden, ist die Universität der Ägäis von so drastischen Kürzungen gewissermaßen ausgenommen. Sie verdankt das der Tatsache, dass ihre Fakultäten auf sechs Inseln verstreut sind. Abgesehen vom Lehrpersonal bedeutet das bei 15.000 Studenten insgesamt: sechs regionale Verwaltungsstäbe, sechs Bibliotheken.

Doch auch an der Insel-Uni wird bereits alles auf das Nötigste reduziert. Auf Samos wurden im vergangenen Jahr die Institute für Mathematik und Statistik zusammengelegt, das Institut für Tourismus, das seit 2011 auf dem Papier existiert, wurde nie eröffnet. Die Frage ist, wie lange die besondere Struktur die Universität noch schützt. Auch darum ist Professor Kodakos’ Freude darüber so groß, dass die Delegationen zu ihm auf die Insel gekommen sind. Die Ortswahl ist eine Botschaft an Athen: „Investitionen in Bildung sind die beste Sozialpolitik“, so Lenzen. Das gelte vor allem für die Inseln in ihrer Abgeschiedenheit.

Dass sich Kooperationen ohne die notwendige Infrastruktur nicht umsetzen lassen, trifft aber auf alle Universitäten zu. „Realkapital in Form eines Hochschulgebäudes haben Sie schnell gebaut“, sagt Karl-Dieter Grüske, Rektor der Universität Nürnberg-Erlangen und wie Lenzen Vize der Hochschulrektorenkonferenz. „Aber man muss es dann auch mit Leben füllen und am Leben erhalten.“ Das, da sind sich alle Seiten einig, können nur die Wissenschaftler selbst machen. Im Frühjahr 2015 soll in Hamburg eine erste Netzwerkveranstaltung stattfinden. Deutsche und griechische Wissenschaftler sollen im Namen und Rahmen der Absichtserklärung von Rhodos Forschungspartnerschaften miteinander eingehen.

Genau an dieser Stelle aber liegt eine weitere Krux. Das sehen auch die Herren und Damen Hochschulrektoren. „Es ist sehr schwierig, einen Prozess zu installieren, ohne die Infrastruktur zu haben“, so Lenzen. Es brauche Werkzeuge wie den deutschen Forschungsatlas, der einen aktuellen Überblick über die wissenschaftlichen Projekte und ihre Initiatoren in Deutschland gibt. Man müsse ja überhaupt erst einmal wissen, wen man ansprechen muss.

Doch selbst hier stellt sich die Spielverderber-Frage: Wer soll das zahlen? „Das Bildungsministerium wird uns das Geld nicht geben“, sagt Paris Tsartas, Vorsitzender der griechischen Hochschulrektorenkonferenz. „Das werden wir als Hochschulen selbst stemmen müssen – mit vereinten Kräften.“ Egal, wie die Lösung heißt: All das braucht Zeit – mehr als zwei Tage. Neben dem Memorandum und der Resolution haben sich die Rektoren darum auf ein Drittes geeinigt: die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die diese Prozesse betreuen und die Fragen klären soll, die offen geblieben sind.

Auf der Suche nach einer Lösung stehen sie noch am Anfang. 400 Partnerschaften gibt es zwischen griechischen und deutschen Hochschulen. Mit Frankreich hat die Bundesrepublik fast siebenmal so viele. Es gilt, die Luft, die noch nach oben ist, jetzt gemeinsam zu atmen. Auf die griechischen Kollegen, die auf Rhodos mit am Tisch sitzen, kann die deutsche Delegation dabei nur bedingt setzen. Denn in Griechenland werden die Vorsitzenden der Hochschulrektorenkonferenz alle vier Jahre neu gewählt. Und die nächste Wahl steht noch in diesem Jahr an.

Erst einmal geht es um den Rahmen. Was das betrifft, herrscht am Ende des Tages allgemeine Zufriedenheit. „Wir haben einander verstanden – verstanden, was wir derzeit machen und was wir zukünftig tun können. Das ist wichtig für die nächsten Schritte“, sagt Tsartas. Und die, da sind sich alle einig, müssen andere tun. Jetzt gehe es darum, Professoren und junge Wissenschaftler einzubinden. „Auf diesem Level haben wir getan, was getan werden kann“, so Lenzen.

Doch man spricht nicht überall eine gemeinsame Sprache – gerade bei der Sprache selbst. Dass die deutsche Delegation Deutsch als Wissenschaftssprache am Forschungsstandort durchsetzen will, gefällt den griechischen Kollegen nämlich gar nicht. Englisch werde weltweit als Forschungssprache praktiziert, dann komme das Französische und dann erst Deutsch. Man tauscht Standpunkte aus, zueinander findet man in dieser Frage nicht. Und auch was die zeitliche Planung betrifft, gibt es unterschiedliche Ansichten.

Lenzens Offerte, sich nach dem Abendessen noch einmal zu Beratungen zurückzuziehen, erntet eine diplomatische Absage des künftigen Kooperationspartners. Lieber morgen, sagt Tsartas. Die Griechen wollen Feierabend. Man schiebt es auf die kulturellen Unterschiede.