FDP-Fraktionschef Brüderle trifft rund 80 Journalisten, darunter „Stern“-Autorin Himmelreich. Die Sexismus-Debatte ignoriert der Politiker.

Berlin. Wie geht man professionell mit Sexismus-Vorwürfen um? Am besten gar nicht, sagt sich FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. An seiner Person entfacht sich gerade die wohl größte Debatte über die Grenzen von Altherrenwitzen, die die Bundesrepublik je gesehen hat. Selbst in den USA wird die Sexismus-Aufregung der Deutschen zur Kenntnis genommen, schien den Amerikanern das Thema Gleichberechtigung eigentlich mit der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin erledigt.

So nimmt es nicht Wunder, dass ein einfaches Pressegespräch Brüderles am Mittwoch zum Medienereignis wird. Am Vormittag drängen sich mehr als 80 Journalisten in einem zu kleinen Konferenzzimmer der FDP-Bundestagsfraktion – so viele wie noch nie bei einem Brüderle-Gespräch. Dabei hatte die Pressestelle entgegen sonstiger Gepflogenheiten erst am frühen Morgen schriftlich dazu eingeladen.

Der Sprengstoff, den eine direkte Begegnung des designierten FDP-Spitzekandidaten mit der „Stern“-Autorin Laura Himmelreich haben könnte, ist allen bewusst. Himmelreich hat schließlich in der aktuellen Ausgabe des Magazins über ihre persönlichen Erfahrungen mit Brüderle berichtet und ihm Sexismus vorgeworfen. Als sie den Raum betreten will, muss Himmelreich durch ein enges Spalier von Fotografen und Kameraleuten. Jeder scheint ein aktuelles Foto der jungen, blonden Journalistin ergattern zu wollen.

Wenige Meter und doch Welten dazwischen

Im Konferenzraum mit Blick auf den Reichstag setzt sich Himmelreich auf Höhe des Tisch-Kopfendes, wo wenig später Brüderle Platz nehmen wird. Immer wieder wird in der Journalistenrunde getuschelt, verhalten auf die junge Frau gezeigt – und möglichst so getan, als wäre man überhaupt nicht wegen eines möglichen kleinen Skandals hier. Nervosität ist der „Stern“-Reporterin nicht anzusehen.

Dann kommt Brüderle – vier Minuten nach dem eigentlichen Beginn des Pressegesprächs. Und zieht gleich die Grenze: „Ich weiß, dass sie heute Interesse vor allem an einem Thema haben. Ich habe bislang dazu nichts gesagt und ich werde es auch heute nicht tun“, bescheidet er der ungewöhnlich stillen Journalistenrunde, die interessanterweise hauptsächlich aus Männern besteht.

In der Ecke sitzt Himmelreich und hört aufmerksam zu. Und lässt sich auch nichts anmerken, als Brüderle nur wenige Meter entfernt die Frage nach einer Entschuldigung genauso abblitzen lässt, wie die nach der Sexismus-Debatte allgemein. Nur einmal wird Brüderle etwas ungehalten, als er gefragt wird, ob er wegen der Sexismus-Vorwürfe der Partei überhaupt noch nutze.

Schweigen im Walde

Ansonsten versucht sich der sonst wortgewaltige FDP-Fraktionschef im politischen Alltagsgeschäft. Gleich neun Themen reißt er nach seinem Eingangststatement an, damit die Journalisten etwas zum Nachhaken haben. Etwas, was nicht mit Frau Himmelreich zu tun hat. Also steigt er kurz vor der Bundestagsdebatte zum Holocaust-Gedenktag mit der europäischen Verantwortung der Deutschen ein, ruft den nach Berlin gekommenen ägyptischen Präsidenten Mursi zu mehr Reformbereitschaft auf, bringt ein Bundeswehrmandat für Mali ins Spiel, lobt den jüngsten Mängelbericht des Wehrbeauftragten und lehnt europäische Hilfen für das angeschlagene Zypern ab.

Die Rechnung geht auf. Zunächst. Die erste Frage nach Brüderles 15-minütiger Einleitung kommt zum Thema Geldwertstabilität, die der FDP-Mann gern im Grundgesetz verankert sehen möchte. Dann folgt eine Frage zu Koalitionsspekulationen, die Brüderle rundweg ablehnt und ein klare Bekenntnis zu Schwarz-Gelb ablegt. Erst die dritte Fragen bezieht sich auf die Sexismus-Debatte – und lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

„Ich hatte eingangs gesagt, dass ich nichts sagen werde“, bescheidet Brüderle. Schmallippig. Auch zwei Nachfragen bringen nicht weiter, außer dass Brüderle hinterherschiebt: „No Comment“ - kein Kommentar. Tapfer arbeitet er dann den Haushalt ab, den Bundeswehreinsatz in Mali und den Rentenstreit beim Koalitionspartner. Dann kommt sie, die letzte Frage in der Runde - und wieder zu den Vorwürfen gegen das „neue Gesicht“ der FDP. Fast trotzig antwortet der Fraktionschef: „Ich werde weiter keinen Kommentar dazu abgeben. Das ist meine persönliche Entscheidung.“

Unentschieden zwischen Brüderle und Himmelreich

Der erwartete Showdown bleibt aus. Nach 45 Minuten Pressegespräch verlässt „Stern“-Autorin Himmelreich, die Brüderle als aufdringlich beschrieben hatte, wortlos den Raum. Der FDP-Fraktionschef würdigt sie auch dabei keines Blickes. Die Mitarbeiter der Fraktion versuchen ebenfalls, alles so normal wie möglich erscheinen zu lassen. „Das war ein Unentschieden“, wird nach dem Treffen gemunkelt: Himmelreich ist schließlich zum Pressegespräch gekommen und Brüderle hat sich davon nicht aus dem Konzept bringen lassen. Nur gesagt oder gar entschuldigt hat er sich nicht.

Derweil präsentiert FDP-Haushälter Jürgen Koppelin eine hoch interessante Deutung für die als frauenfeindlich deklarierten Bemerkungen Brüderles. Der FDP-Fraktionschef habe mit seinem Dirndl-Kommentar nur die Journalistin von weiteren lästigen Fragen abhalten wollen. Auf n-tv sagt Koppelin: „Er hat bewusst so reagiert - vielleicht überzogen oder nicht richtig, um ihr klarzumachen, dass hier heute Abend nicht mehr über Politik gesprochen wird.“