Heinrich-Böll-Stiftung kehrt Land den Rücken. Die Arbeit sei wegen strenger Menschenrechts- Gesetzgebung politisch nicht mehr vertretbar.

Addis Abeba. Seit drei Jahren steht die äthiopische Regierung wegen eines Gesetzes in der Kritik, das die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen strikt reglementiert. Nun zog die Heinrich-Böll-Stiftung als erste der großen ausländischen Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) die Konsequenz: Nach sechs Jahren zieht sich die Grünen-nahe Stiftung aus Äthiopien zurück und schließt zum Jahresende ihr Büro in der Hauptstadt Addis Abeba. „Wir sehen das Gesetz als Teil eines langfristigen Prozesses, der darauf abzielt, die Meinungsfreiheit und die politischen Diskussionen einzuschränken“, sagt Landesbüroleiter Patrick Berg.

In einer Mitteilung hieß es vor wenigen Tagen, die politischen Rahmenbedingungen und die Gesetzeslage in Äthiopien verhinderten eine politisch vertretbare und praktikable Arbeit der Stiftung, die in 60 Ländern der Erde aktiv ist. „Unser Auftrag, gemeinsam mit lokalen Partnern für Demokratie, Geschlechtergerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung einzutreten, ist nicht mehr erfüllbar“, erklärte Barbara Unmüßig vom Vorstand. Bereits wenige Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes hatte die Stiftung auf ihrer Webseite gewarnt, dass es sich um einen „Großangriff auf NGO’s“ handele, „der in Äthiopien für Angst und Selbstzensur sorgen wird“.

Die Regierung betont hingegen, sie habe keinerlei Interesse daran, dass im Land tätige Organisationen ihre Pforten schließen: „Wir würden uns freuen, wenn die Heinrich-Böll-Stiftung weiterarbeiten würde“, sagte Regierungssprecher Bereket Simon auf Anfrage am Telefon.

Aber worum geht es genau in der umstrittenen „Charities and Societies Proclamation“? Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass NGO’s, die sich im Bereich der Menschenrechte engagieren, nicht mehr als zehn Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland beziehen dürfen. Das macht es den meisten betroffenen Organisationen unmöglich, ihre Arbeit fortzuführen.

„Die Menschen in politische Debatten zu verwickeln, steht im Mittelpunkt unserer Mission“, betont Berg. „Wenn man uns verbietet, politische Themen zu behandeln, dann ist das eine indirekte Aufforderung dazu, unsere Arbeit einzustellen.“

Zudem dürfen nur noch 30 Prozent des Budgets in Verwaltungskosten fließen. Darunter fallen auch Kosten für Publikationen. „Aber wir sind ja nun mal sehr stark in den Bereichen öffentliche Information, Erziehung und Dialog engagiert, so dass wir den Großteil unserer Gelder für Veröffentlichungen ausgeben“, sagt Berg. „Die neuen Regeln machen es uns unmöglich weiterzuarbeiten.“

„Die neue Gesetzgebung richtet sich nicht speziell gegen die Heinrich-Böll-Stiftung. Jede andere NGO im Land ist den gleichen Beschränkungen unterworfen“, sagt Berg. Regierungssprecher Simon stimmt dem zu: „Das Gesetz ist ein genereller Maßstab, der sich nicht gegen einzelne Organisationen richtet. Es wurde eingerichtet, damit NGO’s sich daran halten.“

Bereits Ende 2009 bekamen zwei der größten äthiopischen NGO’s die Auswirkungen zu spüren. Die Konten des Menschenrechtsrats Human Rights Council, der ältesten nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisation Äthiopiens, und der Frauenrechtsorganisation Ethiopian Woman Lawyers Organization (EWLA) wurden eingefroren. Die EWLA hatte zuvor 17 000 Frauen kostenlose Rechtshilfe zur Verfügung gestellt. Seit 2011 ist sie nicht mehr arbeitsfähig. Laut Amnesty International mussten Mitglieder des Menschenrechtsrats sogar aus Äthiopien fliehen.

Beobachter sagen, dass sich Hoffnungen auf eine Lockerung der bestehenden Gesetzgebung nach dem Tod von Ministerpräsident Meles Zenawi nicht erfüllt haben. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) betonte, er bedaure die Schließung des Landesbüros, fügte aber hinzu: „Für den langfristigen Erfolg eines Landes ist es aus unserer Sicht zentral, dass es eine aktive und engagierte Zivilgesellschaft gibt, die sich in die Diskussionen über Entwicklungsfortschritte und notwendige Rahmenbedingungen ungehindert einbringen kann.“

Der neue Regierungschef Hailemariam Desalegn will die Politik seines Vorgängers offenbar fortführen – und das beinhaltet neben stetigem Wirtschaftswachstum und zunehmenden Investitionen in die Infrastruktur auch eine eiserne Hand, wenn es um Menschenrechte geht. Ein Problem sieht Regierungssprecher Simon nicht: „Es kommen weiterhin viele neue NGO’s in unser Land. Das zeigt, dass es offenbar kein Problem gibt, wenn es darum geht, in Äthiopien zu arbeiten.“