Am 8. November 2011 stellte sich Beate Zschäpe der Polizei. Jetzt erhebt die Bundesanwaltschaft Anklage gegen die mutmaßliche Terroristin.

Hamburg/Berlin. Am 8. November 2011 gegen 8.49 Uhr geht ein Notruf bei der Polizei ein. Beate Zschäpe hält mit zitternden Händen ein Telefon in der Hand. Sie steht vor einem Nahkauf-Supermarkt in Jena-Löbstedt. "Polizeinotruf Jena", sagt die Polizistin. "Ja, guten Tag, äh, hier ist Beate Zschäpe, die Verantwortliche hier für den Einsatz in Jena. Könnte ich mal bitte mit dem Obersten davon sprechen?" Deutschlands meistgesuchte Frau möchte sich stellen. Doch was folgt, ist ein wirrer Dialog mit einem ahnungslosen Beamten, der nicht einmal weiß, wer Beate Zschäpe ist. Zschäpe legt genervt auf. Was sie nicht wusste: Die öffentliche Fahndung nach ihr begann erst gut zwei Stunden nach dem Telefonat. Die Autoren Christian Fuchs und John Goetz dokumentieren diesen Anruf in ihrem Buch "Die Zelle".

Mittlerweile, genau ein Jahr nach ihrer Festnahme, kennt ganz Deutschland den Namen Beate Zschäpe. Gestern hat das Oberlandesgericht München Anklage erhoben: Die Bundesanwaltschaft wirft der 37-Jährigen vor, sich an der Ermordung von acht Mitbürgern türkischer und einem Mitbürger griechischer Herkunft sowie an dem Mordanschlag auf zwei Polizeibeamte in Heilbronn beteiligt zu haben. Zschäpe gehört zum Trio des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Fast 14 Jahre lebte Zschäpe gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund. 2001 sollen die drei Neonazis Süleyman Tasköprü in seinem Lebensmittelgeschäft in Bahrenfeld mit Schüssen in den Kopf ermordet haben.

Doch das Trio war nicht allein. Es hatte ein Netzwerk an Unterstützern für seine Verbrechen: Vier mutmaßliche Helfer des NSU werden ebenfalls angeklagt. Nach Informationen des "Spiegels" handelt es sich um Holger G, Carsten S., André E. und den früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. Insgesamt ermittelte die Bundesanwaltschaft gegen zwölf Beschuldigte aus dem Umfeld der Gruppe. In Untersuchungshaft sitzt von ihnen derzeit nur noch Wohlleben.

Zschäpe sei ein gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe gewesen, erläuterte Generalbundesanwalt Harald Range. Sie habe der Gruppe "den Anschein von Normalität und Legalität" gegeben. "Sie war dafür verantwortlich, an ihren jeweiligen Wohnorten eine unauffällige Fassade zu pflegen." Nur so habe der NSU unentdeckt bleiben können. Zudem verwaltete sie das Geld der Gruppe.

Die Anklageerhebung gegen Zschäpe ist aus Sicht von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ein Zeugnis für die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden. In der Spitze bis zu 400 Polizeibeamte hätten in den vergangenen Monaten zusammen mit der Bundesanwaltschaft mehr als 6800 Asservate ausgewertet, sodass Akten im Umfang von rund 28 000 Seiten zusammengekommen seien.

Doch viele sehen keine Erfolge der Ermittler - sondern vor allem ihr Scheitern. "Es ist ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Mordserie deutlich geworden, dass die Ermittlungen nicht nur schiefgelaufen sind, sondern von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden bewusst verzögert worden", sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Hamburg, Hüseyin Yilmaz, dem Hamburger Abendblatt. Dabei sei man den Hinterbliebenen der Opfer eine lückenlose Aufklärung schuldig. Vom Prozess gegen Zschäpe erwartet Yilmaz vor allem Aussagen der mutmaßlichen Terroristin zum Netzwerk des Trios und zu möglichen Verbindungen von NSU zur rechtsextremen NPD. "Die Partei gehört verboten", sagte Yilmaz.

Auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages erhofft sich durch den anstehenden Prozess gegen Zschäpe neue Anstöße für die Aufklärung. In einer Sitzung des Ausschusses sagte gestern der frühere Chef der Abteilung Rechtsextremismus beim Militärgeheimdienst MAD aus. Dieter Huth räumte ein, dass die Bundeswehr bis Ende der 90er-Jahre nachlässig mit Rechtsextremen umgegangen sei. Huth sagte, der MAD habe in vielen Fällen Soldaten als Rechtsextremisten eingestuft und die zuständigen Bundeswehr-Stellen informiert. Es habe ihn traurig gemacht, dass diese Arbeit allerdings meist folgenlos blieb.

1995, noch vor Beginn der Mordserie, testete der MAD nach Angaben von Huth auch den Neonazi und späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos als möglichen Informanten für die Behörde. MAD-Präsident Ulrich Birkenheier hatte dies noch im September bestritten. Die Bundeswehr war mit Uwe Mundlos zufrieden. Der spätere Rechtsterrorist bekam zum Ende seines Wehrdienstes ein passables Zeugnis: Mundlos habe als Richtschütze und Gehilfe des Kompanietruppführers "gute Leistungen gezeigt", heißt es darin. 1998 tauchte das Trio unter - und begann mit seinen rassistischen Verbrechen.

Beate Zschäpe betritt am 8. November 2011, ein paar Stunden nach ihrem Anruf, die Polizeidirektion Jena. An der Wand des Reviers hängt ein Poster, das Eltern zu Wachsamkeit ermutigen soll, damit ihre Kinder nicht in die Neonazi-Szene abrutschen. "Ich bin die, die Sie suchen", sagt Zschäpe.