Die Fahnder zeichneten im Jahr 1977 in einem Schaubild die Zusammenhänge zwischen dem Mord an Buback und der Becker-Festnahme auf.

Hamburg. Es ist eines dieser Schaubilder aus der Zeit, als es noch keine schicken PowerPoint-Präsentationen gab. Fein säuberlich sind die Kästen mit einem Lineal gezogen, Namen mit Schablonen eingekreist, Verbindungslinien gestrichelt. Im oberen Kreis geht es um den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback am 7. April 1977 in Karlsruhe, darunter um die Festnahme der damaligen RAF-Terroristen Verena Becker und Günter Sonnenberg am 3. Mai 1977 in Singen. Beide Komplexe sind mit diversen Linien miteinander verbunden. Dieses Schaubild der "Spuren- und Beweismittelzusammenhänge: Fall Buback" des Bundeskriminalamts (BKA) von 1977 zeigte der ehemalige BKA-Chef Horst Herold vor eineinhalb Jahren dem Buback-Sohn Michael.

Damit bestärkte er ihn, bei der Suche nach den Mördern seines Vaters weiter auch Spuren, die zu Verena Becker führen, zu verfolgen. "Dieses Dokument beweist, dass das BKA die Festnahme Beckers und Sonnenbergs dem Karlsruher Attentat zugeordnet und die beiden für dringend verdächtig gehalten hat, Generalbundesanwalt Buback ermordet zu haben", sagte der führende RAF-Forscher Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung dem Abendblatt. "Es ist ein bisher unerklärbares Versäumnis, dass in diesem Fall weder gegen Günter Sonnenberg noch gegen Verena Becker Anklage erhoben wurde."

Die heute 57 Jahre alte Verena Becker war erst vor einer Woche unter dem dringenden Verdacht verhaftet worden, dass sie "wesentliche Beiträge zur Vorbereitung und Durchführung" des Buback-Attentats geleistet hat. Nach ihrer Verhaftung 1977 war sie nur wegen der Schießerei bei ihrer Festnahme in Singen, bei der ein Polizist und Sonnenberg schwer verletzt wurden, zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte Verena Becker 1989 begnadigt. Verurteilt für den Mord an Buback und seinen Begleitern wurden hingegen Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt und Knut Folkerts, obwohl nie ermittelt werden konnte, wer wirklich geschossen hatte. Hatte es zwar schon kurz nach Beckers Festnahme Berichte über sie als mögliche Buback-Mörderin gegeben, so verschwand die Verdächtige dennoch schnell aus der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Das Verfahren gegen sie wurde eingestellt.

Das BKA-Schaubild zeigt jedoch, dass es damals zahlreiche handfeste Hinweise für eine Beteiligung von Becker an dem Buback-Mord gab. Man fand bei ihr und Günter Sonnenberg nicht nur die Tatwaffe und den Schraubenschlüssel für das Suzuki-Motorrad, von dem aus auf den Wagen von Buback geschossen wurde, sondern - wie aus dem Schaubild hervorgeht - Verena Becker hatte auch die FN74-Patronen für die Heckler&Koch-Maschinenpistole, mit der Buback erschossen wurde, bei sich. Die Patronen waren nach Aussage von Kraushaar in einer Tasche, die Becker umgehängt hatte. Sonnenberg hatte demnach die Heckler&Koch im Rucksack. Die Patronenhülsen, die die Fahnder am Buback-Tatort gefunden hatten, passten zur Waffe. "So konnte man genau nachweisen, dass aus dieser Waffe geschossen worden war", sagt Kraushaar.

Die Mordwaffe muss für die RAF sogar eine besondere Bedeutung gehabt haben. Anders ist es nach Kraushaars Meinung nicht zu erklären, dass sich die RAF ihrer nicht gleich nach den Schüssen auf Buback entledigt hatte. Die waffenvernarrten RAF-Terroristen hatten bei der Festnahme außerdem noch drei Pistolen und zwei Revolver bei sich. Außerdem ging das BKA damals davon aus, dass "Haarspuren von der Haarbürste Verena Beckers identisch mit Haarspuren in einem der Motorradhelme" seien.

Dass Verena Becker schon für den Buback-Mord dringend verdächtig war, muss nach Kraushaars Ansicht allerdings immer noch nicht bedeuten, dass sie auch tatsächlich die Todesschützin war. "Das zu klären ist die Aufgabe eines ordentlichen Gerichtsverfahrens", sagt er. Seiner Ansicht nach müsste dann auch Günter Sonnenberg, der die Suzuki gefahren haben könnte, zur Rechenschaft gezogen werden. Er war bei der Festnahme mit einem Kopfschuss schwer verletzt worden.

In einem Gerichtsverfahren könnte die gesamte ehemalige Führungsebene der RAF um Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar - sie alle haben ihre Strafen inzwischen verbüßt - als Zeugen gehört werden. Es könnte die Zusammenarbeit von Verena Becker mit dem Verfassungsschutz geklärt werden. Dort soll sie Stefan Wisniewski als Schützen genannt haben. Laut Bundesinnenministerium hat sie für ihre Aussagen sogar 100 000 Mark erhalten. Und es könnte die Frage, die bisher im Raum steht, beantwort werden: Sind die Ermittler womöglich als Gegenleistung für ihre Aussagen beim Verfassungsschutz nicht weiter wegen des Buback-Attentats gegen Verena Becker vorgegangen?

"Da Verena Becker nun erneut in Untersuchungshaft sitzt, wäre dies die unwiederbringliche Chance, sie über 30 Jahre später endlich zur Rechenschaft zu ziehen und wegen der Beteiligung am Buback-Attentat vor Gericht zu stellen", sagt Kraushaar. Dass diese Chance überhaupt existiert, ist seiner Ansicht nach vor allem das Verdienst des Sohnes. "Ohne den öffentlichen Druck, den Michael Buback seit über zwei Jahren macht, gäbe es sie nicht", sagt Kraushaar. Der RAF-Forscher hatte den 63 Jahre alten Chemieprofessor aus Göttingen vor zwei Jahren auf einer RAF-Tagung in Bad Boll (Baden-Württemberg) kennengelernt. Damals ging es um das Thema "30 Jahre Deutscher Herbst", um die Zeit 1977, in der die RAF eine beispiellose Mordserie entfachte. Das Buback-Attentat war der Anfang ihrer "Offensive 77". Im Juli erschoss sie den Dresdner-Bank-Sprecher Jürgen Ponto, im September entführte die RAF Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer. Im Oktober wurde die Lufthansa-Maschine "Landshut" gekidnappt, um die RAF-Gründer Andreas Baader und Gudrun Ensslin freizupressen. Als das scheiterte, begingen die beiden in der Haft Selbstmord, die Komplizen erschossen Schleyer.

In dem "Jubiläumsjahr" 2007 sollte in der öffentlichen Diskussion das schwierigste Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte eigentlich geschlossen werden. Die letzten RAF-Köpfe Mohnhaupt und Klar standen sogar kurz vor ihrer Haftentlassung - ohne je einen der Mörder genannt zu haben. Und plötzlich stellte Michael Buback die schlichte Frage: "Wer hat eigentlich meinen Vater erschossen?" Eindrucksvoll, so sagt Kraushaar, habe Michael Buback in Bad Boll Zeugenaussagen präsentiert, die in keinen Akten auftauchen. Demnach soll eine zierliche Person, eben möglicherweise eine Frau, als Beifahrerin auf dem Motorrad gesessen und von da aus geschossen haben. Kraushaar hatte daraufhin das Treffen zwischen Michael Buback und Horst Herold im Januar 2008 in München vermittelt. Michael Buback holte Verena Becker als Verdächtige wieder ins Bewusstsein zurück. Er macht sich dabei auch in der Behörde, die einst sein Vater leitete, keine Freunde.