Die 2007 erschossene Beamtin Michèle Kiesewetter soll zwei Jahre vor der Tat in ihrer thüringischen Heimat mehrmals mit Terrorist Uwe Mundlos gesehen worden sein. Opfer-Angehörige sollen 10.000 Euro Entschädigung erhalten.

Dresden/Berlin/Heilbronn. Während die Ermittlungen zu den Taten rechtsexttremistischer Terroristen täglich neue Erkenntnisse, aber auch Versäumnisse der zuständigen Behörden zu Tage fördern, steht die Politik vor der Einigung in der Entschädigungsfrage für Angehörige der Neonazi-Mordopfer.

Eine spektakuläre Wendung könnte es dabei im Falle der 2007 ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter geben. Denn zwischen der vor viereinhalb Jahren in Heilbronn ermordeten Polizistin und dem Zwickauer Neonazi-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gibt es nach Erkenntnissen von Ermittlern wahrscheinlich doch eine Verbindung. Möglicherweise habe es sich um einen gezielten Mord gehandelt, hieß es am Montag aus Sicherheitskreisen. Auch der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, habe sich am Montag entsprechend im Bundestags-Innenausschuss geäußert, berichteten Teilnehmer. Ziercke soll dabei von einer möglichen Beziehungstat gesprochen haben - in dem Sinne, dass es Bezüge zwischen der aus Thüringen stammenden Polizistin und der Zwickauer Zelle gebe.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wollte diese Angaben am Montag nicht kommentieren. Das Zwickauer Neonazi-Trio stehe weiter unter dringendem Tatverdacht, die Hintergründe seien aber Gegenstand intensiver Ermittlungen und würden nicht an die Öffentlichkeit gegeben. "Die Tat passt in die Ideologie der Gruppe“, sagte ein Sprecher der Behörde am Montag lediglich. Man gehe selbstverständlich jedem greifbaren Hinweis nach.

+++ Verbote helfen nicht ++++

+++ Neonazis töteten seit 1990 bis zu 182 Menschen +++

Die Polizistin Michèle Kiesewetter war am 25. April 2007 in Heilbronn auf einer Festwiese mit einem Kopfschuss getötet worden. Ihr damals 24 Jahre alter Streifen-Kollege wurde schwer verletzt und lag mehrere Wochen im Koma. In der vergangenen Woche hatte es noch vom Landeskriminalamt in Baden-Württemberg geheißen, der Mord an der Polizistin habe wohl nichts damit zu tun, dass die Beamtin selbst aus Thüringen stammt. Dafür hätten keine Anhaltspunkte vorgelegen, hieß es damals. Nach Informationen der Zeitschrift "Super-Illu“ wurde der Neonazi Uwe Mundlos im Sommer 2005 mehrfach im thüringischen Heimatort der 2007 erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter gesehen.

Nach dpa-Informationen soll ein Familienangehöriger der Polizistin versucht haben, einen Gasthof in Thüringen anzumieten, der dann aber an einen Mann aus dem Umfeld des Zwickauer Trios gegangen sei. Die Polizistin selbst habe jahrelang gegenüber des Gasthofes gewohnt. Zudem soll ein Familienmitglied der Polizistin in einem anderen Gastronomiebetrieb einen Koch mit dem Nachnamen Zschäpe beschäftigt haben. Welche Rolle dies alles bei dem Mord an Kiesewetter gespielt haben könnte, blieb am Montag unklar. Die Familie der getöteten Polizistin in Thüringen bezeichnete die Angaben zu den möglichen Verbindungen allerdings als "Unsinn“.

Die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos wird für die Mordserie an neun Geschäftsleuten türkischer und griechischer Abstammung zwischen 2000 und 2006 und die Ermordung Michèle Kiesewetters 2007 verantwortlich gemacht.

10.000 Euro Entschädigung für Angehörige

Die Angehörigen der Neonazi-Mordopfer sollen mit 10.000 Euro entschädigt werden. Ein Sprecher von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte am Montag in Berlin, dabei orientiere man sich an früheren Entschädigungen für die Opfer terroristischer oder extremistischer Angriffe. Das Geld kommt aus dem Haushalt des Bundesjustizministeriums. Darin steht in diesem Jahr eine Million Euro für solche Härteleistungen zur Verfügung. Die Zahlungen sollen nach Möglichkeit noch bis zum Jahresende erfolgen.

Leutheusser-Schnarrenberger hatte am Wochenende versprochen, die Angehörigen des Zwickauer Neonazi-Mordtrios zu entschädigen. Der Ministeriumssprecher erklärte, man bemühe sich intensiv um Kontakte zu den Angehörigen. Die Zahlungen sollten "ein Zeichen der Solidarität sein“. Es sei klar, dass damit das Leid der Angehörigen und der Opfer nicht aufgehoben werden könne.

Seit dem Jahr 2001 stehen im Haushalt des Bundesjustizministeriums Gelder für Härteleistungen zur Verfügung. Sie waren zunächst ausschließlich für die Opfer rechtsextremistischer Attacken sowie deren hinterbliebene Angehörige vorgesehen. Seit 2010 stand das Geld auch für die Opfer anderer extremistischer Gewalttaten zur Verfügung. Die Zahlungen, die eine freiwillige staatliche Leistung sind, gehen entweder an die überlebenden Opfer selbst oder an die engste Familie von Todesopfern, also Kinder, Eltern oder Geschwister.

Nach einem Bericht der "Leipziger Volkszeitung“ (Dienstagsausgabe) soll der Haushaltstitel für die "Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ im kommenden Jahr um die Hälfte gekürzt werden. Ein Sprecher des Ministeriums sagte dem EPD auf Nachfrage, die Haushaltsberatungen liefen noch. Über die endgültige Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel für Härteleistungen werde in dieser Woche entschieden. Der Bundestag will in dieser Woche den Bundeshaushalt für das kommende Jahr beschließen.

Die Bundesgeschäftsführerin und Bundestagsabgeordnete der Linken, Caren Lay, sprach von einem "guten Beispiel dafür, wie Schwarz-Gelb den Rechtsextremismus verharmlost“. Der Etat für den Opferausgleich müsse nach realistischen Opferzahlen neu berechnet werden, forderte sie.

Sächsicher Verfassungsschutz wusste nichts von NSU-Aufenthaltsort

Der sächsische Verfassungsschutz hatte vom Aufenthaltsort der jahrelang in Zwickau untergetauchten NSU offenbar keine Ahnung. Wie der Vorsitzende der Parlamentarische Kontrollkommission des sächsischen Landtages, Günther Schneider (CDU), am Montag in Dresden sagte, ist das kurzgefasst das Ergebnis einer Befragung von Landes-Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos durch das Gremium. Linke-Fraktionschef und Kommissionsmitglied André Hahn sagte, er sei "fassungslos über das Ausmaß der Unkenntnis des Verfassungsschutzes über rechtsradikale Strukturen in Sachsen“. Sachsens Grüne schlossen sich der Kritik an.

Der Verfassungsschutz des Freistaates habe auf Ersuchen der federführenden thüringischen Sicherheitsbehörden jahrelang erfolglos nach dem NSU gefahndet, sagte Schneider unter Verweis auf Boos. Dieser habe zudem versichert, dass der sächsische Verfassungsschutz "zu keinem Zeitpunkt Kenntnis vom Versteck und Verbleib des Trios“ gehabt habe. Eine Zusammenarbeit oder Unterstützung des NSU durch den Verfassungsschutz sei folglich ausgeschlossen.

Die fünfköpfige Kontrollkommission war auf Antrag von Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) zusammengekommen, um sich über die Ermittlungsergebnisse des Verfassungsschutzes zu informieren. Zentrale Frage war, wie die drei Terrorverdächtigen jahrelang unbemerkt in Zwickau leben konnten.

Verfassungsschutz wurde 1998 eingeschaltet

Eingeschaltet wurden die sächsischen Ermittler Schneider zufolge Anfang 1998, nachdem die drei Terrorverdächtigen im benachbarten Thüringen untertauchten. Die Thüringer Sicherheitsbehörden hätten den Hut für die Ermittlungen auch in anderen Bundesländern wie Sachsen aufgehabt, gab Schneider den Bericht des obersten sächsischen Verfassungsschützers wider. Die sächsischen Ermittler waren demnach bis Anfang 2002 mit "eigenen nachrichtentechnischen Mitteln“ tätig.

+++ Noch mehr V-Leute im Umfeld des Neonazi-Trios +++

+++ Feuerwehrmann wundert sich über Einsatz im Zschäpe-Haus +++

+++ ... und plötzlich im Visier der Neonazis +++

Die beiden Männer und eine Frau sollen zwischen 1996 und 1998 in Jena verschiedene Sprengsätze und Bombenattrappen gebaut haben. Im Januar 1998 entdeckten Ermittler in der Garage der mutmaßlichen Terroristen Rohrbomben ohne Zünder und begannen mit der Fahndung. Nach bisherigen Erkenntnissen soll das Trio auch für die Morde an acht türkischstämmigen Männern und einem Griechen in den Jahren 2000 bis 2006 in mehreren deutschen Städten sowie dem Mord an einer Heilbronner Polizistin im April 2007 verantwortlich sein. Mindestens seit 2008 lebten sie in Zwickau.

Kommission will im Dezember erneut tagen

Nach der Tagung der Innenministerkonferenz im Dezember will die Parlamentarische Kontrollkommission weitere offene Fragen klären, kündigte Schneider an. Dabei werde es um die konkrete Ermittlungsarbeit der Verfassungsschützer gehen. Es müsse noch geklärt werden, welche Aufgaben genau die Behörde hatte.

Seine Erklärung gab Schneider nach eigenen Angaben für die Mehrheit der aus drei Vertretern der schwarz-gelben Koalition in Sachsen und zwei Landtagsabgeordneten der Linkspartei bestehenden Kommission ab. Linke-Fraktionschef Hahn erklärte im Anschluss, er und seine Parteikollegin Kerstin Köditz hätten der Erklärung nicht zugestimmt, weil eine kritische Bewertung fehle. Der Verfassungsschutz habe schließlich mehr als ein Jahrzehnt keine Kenntnisse vom Verbleib des Trios gehabt. "Das stellt den Verfassungsschutz insgesamt und grundsätzlich infrage“, sagte Hahn.

"Die zur Schau gestellte Ahnungslosigkeit des sächsischen Verfassungsschutzes ist unfassbar“, fügte der demokratiepolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Miro Jennerjahn, hinzu. Innenminister Markus Ulbig (CDU) müsse nun erklären, wieso Verfassungsschutz und Polizei die rechte Gefahr "offensichtlich nicht wahr genommen haben“. Zudem müsse es Aufklärung darüber geben, ob es in Sachsen ein Netzwerk von Unterstützern für die mutmaßlichen Mörder gegeben habe. Ulbig will sich am Dienstag nach einer Kabinettssitzung in Dresden zu den Vorgängen äußern.

Özdemir fordert Neuordnung der Sicherheitsbehörden

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir geht von einer weitreichenden Veränderung der deutschen Sicherheitsbehörden aus. Es sei klar, dass am Ende der Ermittlungen zu der Mordserie von Neonazis "kein Stein mehr auf dem anderen“ stehen könne, was die Sicherheitsbehörden und den Umgang mit Rechtsterrorismus angehe, betonte Özdemir am Montag in Berlin. Welche Änderungen im Einzelnen nötig seien, wolle er aber nicht vorwegnehmen. Man müsse sich erst mit der Aufklärung der Mordserie beschäftigen. Danach könne über Konsequenzen diskutiert werden.

Mit Material von dpa, dapd und epd