Jubel und Begeisterung beim Auftritt des Pontifex im Olympiastadion. Doch nicht alle in Berlin freuen sich über den Besuch

Berlin. Im Schritttempo rollt das weiße Papamobil auf die blaue Tartanbahn ins Berliner Olympiastadion, der Jubel von 61 000 Gläubigen brandet auf, religiöse Musik erschallt aus Lautsprechern. Sicherheitsleute in schwarzen Anzügen und mit wachsamen Blicken eskortieren das gepanzerte Gefährt, das Benedikt XVI. an den weitgehend vollen Rängen vorbeichauffiert. Doch Gefahr dürfte ihrem Schützling kaum drohen, den Rand der blauen Laufbahn vor den Fankurven säumen Hunderte von winkenden Messdienern, ihre weiß-roten Gewänder leuchten hell.

Viel ist geschrieben worden darüber, wie gleichgültig viele Deutsche dem Besuch des Pontifex gegenüberstehen, wie kritisch sie seinen Auftritt im Bundestag etwa eine Stunde zuvor bewerten. Doch hier, im geschützten Oval des Stadions, schlägt Benedikt XVI. schlicht Begeisterung entgegen, zahlreiche Menschen schwenken Fahnen mit den päpstlichen Farben Gold und Weiß. Der Pontifex sitzt in einem weißen Sessel in der Kabine des Papamobils und winkt seinen Anhängern zu, zeichnet Kreuze in die Luft. Die schusssicheren Scheiben der Kabine reichen ihm nur bis zur Taille. Mehrmals muss das Fahrzeug stoppen: Benedikt werden immer wieder kleine Kinder ins Fenster gereicht, die er lächelnd auf die Stirn küsst und segnet.

Während der Papst aus dem Blickfeld der Gläubigen rollt, um sich im Inneren des Gebäudes für die anstehende Messfeier vorzubereiten, betreten auch zahlreiche Politiker das Stadion, Bundespräsident Christian Wulff und seine Frau Bettina sind darunter, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert. Als dann auch noch die Band Patchwork auf der Bühne ein poppiges Kirchenlied anstimmt, ist die Show perfekt. Mancher Besucher wippt im Takt mit, und Jugendliche, die von der Kamera erfasst und deren Bilder auf die Großleinwand übertragen werden, kreischen aufgedreht und wedeln mit Spruchbändern. Erzbischof Rainer Maria Woelki begrüßt den Papst im Olympiastadion. "Sie kommen in eine Stadt, die geprägt ist von Atheismus." Viele Menschen aber hätten den Besuch des Papstes lang ersehnt. Dann bittet ein Sprecher die Anwesenden, von Rufen abzusehen und die Transparente einzurollen - der Gottesdienst beginnt.

Bei Weitem nicht jeder in der Stadt hat den Besuch des Oberhauptes der Katholiken herbeigesehnt. Noch während der Papstrede im Reichstag hat sich auf dem nahen Potsdamer Platz die zentrale Gegendemonstration formiert. Fast zeitgleich mit der Ankunft des Papstes im Olympiastadion ziehen mehrere Tausend Demonstranten durch das Zentrum Berlins. Ein Bündnis von knapp 70 Organisationen hat unter dem Motto "Keine Macht den Dogmen" zu der Kundgebung gegen den Papst aufgerufen, nun wollen die Protestierenden zur St.-Hedwigs-Kathedrale ziehen, der Hauptkirche der Berliner Katholiken.

"Gott zum Gruße", schallt es aus den Mikrofonen der Kundgebung "gegen die menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik der katholischen Kirche". Es sei ein "göttlicher Anblick" auf die Demonstranten, freut sich die Moderatorin auf dem Lkw-Anhänger, bevor sich der Tross in Bewegung setzt. Es sei aber keine Demonstration gegen Gläubige, fügt sie hinzu. Das Veranstalterbündnis verstehe seinen Protest vielmehr als Ausdruck der Unzufriedenheit. Die katholische Kirche müsse endlich in der Moderne ankommen. "Wir sind nicht Papst" steht auf dem Plakat von Beate Turner, das sie an diesem sonnigen Tag trotzig dem Himmel entgegenstreckt. "Ich bin verärgert, dass Benedikt im Bundestag redet", sagt die Berlinerin. Die Kirche dürfe nicht in Parlamenten auf Gesetze Einfluss nehmen. Die 44-Jährige denkt an Fragen der Sterbehilfe und der Präimplantationsdiagnostik (PID). Sie kenne die "altmodische Haltung" der Kirche dazu.

Unterdessen posiert David Farago für die Kameras. Der 30-Jährige hat sich als Bischof verkleidet. In der rechten Hand hält er einen Teppichklopfer, in der linken einen selbst gebastelten Bischofsstab aus Holz. Ein anderer, als Papst verkleideter Mann mit Bart "segnet" mit Wasser und einer Klobürste die Polizei. Ein weiterer "Papst" ist von einer Werbeagentur engagiert worden. Es werden Kondome verteilt.

Nicht weit davon steht Nils, der in die Kutte eines Mönchs geschlüpft ist. Er kritisiert die Haltung der katholischen Kirche gegenüber Homosexuellen und Transsexuellen. Er habe zwar eine Freundin, führe aber eine offene Beziehung und sei dem gleichen Geschlecht nicht abgeneigt, erzählt er. "Ich fühle mich von den Bischöfen und Kardinälen ausgegrenzt", resümiert der bekennende Katholik. In seiner Pfarrgemeinde habe er aber für sein Outing viel Unterstützung erfahren. "Das zeigt", sagt Nils, "die meisten Katholiken sind deutlich weiter als der Papst."

Einige Hundert Meter weiter, am Brandenburger Tor, haben Aktivisten einen großen Ball platziert mit der Aufschrift "Verjährungsfristen abschaffen". Es ist der Ruf von Opfern sexuellen Missbrauchs, die sich im "Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt" engagieren und nun anlässlich des Papstbesuches für die Aufhebung von zivil- und strafrechtlichen Verjährungsfristen demonstrieren. Landesbeauftragte Marcella Becker sagt, der Papst sei der Chef einer Organisation, die Massenverbrechen an Kindern und Jugendlichen mitzuverantworten habe.

Im Stadion predigt nun Benedikt XVI. Eindringlich ruft er die Katholiken auf, trotz der Negativschlagzeilen zu ihrer Kirche zu stehen. "Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen", beklagt er. "Die Kirche ist das schönste Geschenk Gottes." Auf drängende Fragen von deutschen Gläubigen etwa nach den Missbrauchsfällen, dem Zölibat und dem Umgang mit geschiedenen Christen geht er in seiner Predigt nicht ein. Die Kirche dürfe nicht nur nach den Maßstäben und Gesetzen der vielen Organisationen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft beurteilt werden. Die Kirche verbinde als "universales Heilssakrament" die Gläubigen mit Jesus Christus. Kirchenfrust sei daher auch eine Folge falscher Erwartungen. "Wenn dann auch noch die leidvolle Erfahrung dazukommt, dass es in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut gibt und der Blick auf das Negative fixiert bleibt, dann erschließt sich das große und schöne Mysterium der Kirche nicht mehr."