Bundestag hat erstmals einen Truppenabbau beschlossen. Die Lage am Hindukusch bleibt gefährlich. Abzug beginnt schon am 1. Februar.

Berlin. Der 11. September 2001 war der Anfang. Nachdem Terroristen des Netzwerks al-Qaida das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington angegriffen hatten, versprach Bundeskanzler Gerhard Schröder Deutschlands "uneingeschränkte Solidarität". Was das bedeutete, wurde nur wenige Monate später klar: Deutsche Soldaten mussten in den Einsatz nach Afghanistan. Das erste Parlamentsmandat Ende 2001 umfasste zunächst 1200 Soldaten. Anfang 2002 landeten die ersten in Afghanistan. Es hieß, nach einigen Monaten könne vielleicht schon alles wieder vorbei sein. Es kam anders: Rund 100.000 deutsche Soldaten waren inzwischen in Afghanistan, 53 starben, rund 200 wurden verletzt, mehr als 1800 schwer traumatisiert. Die deutschen Einsatzkosten: mindestens 5,5 Milliarden Euro.

Über die Jahre hielt sich die Politik an den Ausspruch von Verteidigungsminister Peter Struck aus dem Jahr 2002: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt." Als der Uno-Sicherheitsrat 2003 das zunächst auf die Hauptstadt Kabul begrenzte Mandat auf andere Regionen Afghanistans ausweitete, stationierte die Bundeswehr Wiederaufbauteams in den Provinzen Kundus und Faisabad. In Masar-i-Scharif befinden sich heute das logistische Drehkreuz der Bundeswehr und zugleich das größte Feldlager.

Nach zehn Jahren kommt nun die taktische Wende. 424 von 569 Bundestagsabgeordneten haben gestern einer erstmaligen Reduzierung der eingesetzten Bundeswehrsoldaten zugestimmt.

Das bisherige Mandat wird zugleich um zwölf Monate bis zum 31. Januar 2013 verlängert. Die Bundesregierung plant, nur noch bis zu 4900 Soldaten statt bisher bis zu 5350 am Hindukusch zu stationieren. Am 1. Februar beginnt bereits der Abzug von 100 Soldaten. 2014 will die internationale Staatengemeinschaft die letzten Kampftruppen aus Afghanistan heimgebracht haben. Doch heißt das für die Bundeswehr, dass ihre Aufgabe am Hindukusch dann beendet ist? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen über den veränderten Afghanistan-Einsatz.

Warum beginnt die Bundeswehr jetzt, ihre Soldaten abzuziehen?

Deutschland geht auch hier seinen Bündnispflichten nach. Es ist eine gemeinsame Nato-Entscheidung, den Einsatz von Kampftruppen der Internationalen Schutztruppe Isaf bis 2014 zu beenden. Der Schwerpunkt des Einsatzes wird nunmehr auf Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte verlegt. Diese sollen bis "spätestens Ende 2014" in der Lage sein, die vollständige Sicherheitsverantwortung in Afghanistan wahrnehmen zu können.

Gibt die Bundeswehr bereits Pflichten ab?

Fest steht: Im Laufe des Jahres wird die Truppe um bis zu 500 Soldaten reduziert. Etwa die Hälfte der Reduzierung ergibt sich aus der Schließung des deutschen Feldlagers Faisabad, die noch vor Ende des Jahres erfolgen soll. Die Sicherheitsverantwortung ist dort bereits in dieser Woche an die afghanische Armee und Polizei übergeben worden. Ob das Lager teilweise von Afghanen weitergenutzt oder ganz abgebaut wird, bedarf weiterer Klärung. Bereits im Frühjahr werden der Außenposten des Feldlagers Kundus in Talokan geschlossen. Hier sind ohnehin nur wenige Dutzend Soldaten stationiert. Die momentane Hauptaufgabe der Bundeswehr in Afghanistan, nämlich Training afghanischer Soldaten, wird obendrein eingeschränkt. Von den derzeit 1700 Bundeswehr-Ausbildern könnten bis Anfang 2013 rund 200 wegfallen. Der weitere Abzugsprozess ist noch nicht definiert.

Welche Probleme sind mit dem Truppenabzug verbunden?

"Der Abzugsprozess ist kompliziert und bedarf einer langen Vorausplanung", sagt Hans-Georg Ehrhart, Mitglied der Geschäftsleitung am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Zum Problem könne dabei werden, dass sich die Bedingungen vor Ort natürlich wieder verschlechtern könnten. "Die offiziell verkündete Verbesserung der Lage ist natürlich nur ein Schönreden der noch immer dramatischen Situation in dem Land." Ehrhart betont: "Je stärker die deutschen Kräfte ausgedünnt werden, umso anfälliger werden sie für Attacken durch die Taliban." Auf die Deutschen käme ein immenses Sicherheitsproblem zu, sollten die Taliban weiter angreifen. Der internationale Truppenabzug wird auch in anderer Hinsicht zur deutschen Belastung: In Anbetracht der unsicheren Nachschubwege über Pakistan könnte der Rückzug eines Großteils der 130.000 Isaf-Soldaten in den kommenden Jahren über den Norden erfolgen. Also dort, wo die Bundeswehr die Sicherheitsverantwortung trägt. In der FDP gibt es daher Überlegungen, ein eigenständiges Abzugsmandat beschließen zu lassen, dass den Isaf-Abzug und den deutschen Auftrag dabei klar regelt. Es sollen dann nur noch militärische und polizeiliche Ausbilder im Land sein. Diese müssen allerdings auch geschützt werden. Vermutlich wird Deutschland weiter für die Nordregion verantwortlich sein.

Ist Afghanistan sicherer geworden?

"Der Norden ist tendenziell sicherer geworden. Von vielen anderen Regionen kann man das nicht behaupten", sagt Sicherheitsforscher Ehrhart. Die Taliban seien nach wie vor stark. Und wie das Land schlussendlich befriedet werden könne, sei auch im Jahr 2012 noch nicht klar, so Ehrhart. Thomas Ruttig, Kovorsitzender des Afghanistan Analysts Network, bemängelte jüngst, dass auch die auf der Bonner Friedenskonferenz Ende November 2001 beschlossene landesweite Entwaffnung aller Milizen bis heute nicht erfolgt ist. Eine Reihe von Anschlägen von einzelnen afghanischen Soldaten auf Nato-Kräfte haben zudem in den vergangenen Monaten das Misstrauen zwischen westlichen Militärs und ihren einheimischen Verbündeten verstärkt. Auch Selbstmordattentate reißen nach wie vor Zivilisten mit in den Tod. Erst gestern starben mehrere Menschen bei einem solchen Anschlag in der südafghanischen Unruheprovinz Helmand.

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Hat sich der Einsatz gelohnt?

"Für die Afghanen hat sich der Militäreinsatz größtenteils nicht gelohnt", meint Ehrhart, "für die internationale Gemeinschaft eigentlich auch nicht." Gelohnt habe sich der Einsatz für private Sicherheitsfirmen, die in Afghanistan Milliarden Euro verdient hätten. Auch Rüstungs- und Entwicklungsunternehmen hätten profitiert. "Wer sich da als Firma engagiert hat, hat sich eine goldene Nase verdient."