Achim Steiner, Chef des Uno-Umweltprogramms, fordert im Abendblatt-Interview eine “globale diplomatische Initiative“ von Angela Merkel.

Die Vorverhandlungsrunden zur Uno-Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen sind abgeschlossen, die Weichen zu einem bereits als historisch bezeichneten Gipfel gestellt. Das Hamburger Abendblatt sprach mit Achim Steiner, Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, über die Ausgangssituation vor dem entscheidenden Treffen.

Hamburger Abendblatt: Der EU-Umweltdirektor Karl Falkenberg nannte die letzte vorbereitende Verhandlungsrunde vergangene Woche in Barcelona entmutigend. Sehen Sie das auch so?

Achim Steiner: Ja. So wenige Tage vor dem Gipfel in Kopenhagen kann es keinen beruhigen, wenn die Länder noch so weit auseinander sind bei den Grundelementen eines Abkommens in Kopenhagen.

Abendblatt: Welches sind die Grundelemente?

Steiner: Emissionsreduzierungen der Industrieländer und Finanzierungs- partnerschaften mit den Entwicklungsländern, die ihnen helfen, Klimaschutz zu betreiben und die Folgen des Klimawandels zu bewältigen.

Abendblatt: Wann würde der Gipfel ein Erfolg? Braucht es dafür verbindliche Reduktionsziele, wie sie 1997 in Kyoto verabschiedet wurden?

Steiner: Unternehmen und Investoren brauchen transparente Märkte und Planungssicherheit. Ohne verbindliche Ziele lässt sich eine klimafreundlichere Wirtschaftspolitik nur bedingt umsetzen. Die Konsequenz wäre, dass wir das vom Weltklimarat vorgegebene Ziel, bis 2050 den Treibhausgasausstoß zu halbieren, nicht mehr erreichen können. Je länger wir zögern, umso schwieriger und teurer wird eine Kehrtwende sein. Damit ist klar: Wir brauchen konkrete Ziele und Zahlen. Und es müssen finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen werden, um den Entwicklungsländern zu helfen, bei diesem Vorhaben aktive Partner zu werden.

Abendblatt: Wer muss sich in Kopenhagen am meisten bewegen, damit der Gipfel substanzielle Ergebnisse bringt?

Steiner: Alle Staaten müssen sich bewegen. Jede Verhandlung, die 192 Staaten einschließt, muss letztendlich im Konsens enden, wird aber mit Kompromissen verbunden sein. Natürlich ist das größte Hindernis die innenpolitische Lage in den Vereinigten Staaten. Was immer ein Präsident Obama erreichen kann bis Dezember, wird nicht dem entsprechen, was zum Beispiel die Europäische Union auf den Tisch gelegt hat und was die Entwicklungsländer von allen Industrieländern erwarten. Ein Schlüsselelement der Verhandlungen wird sein, den USA eine Brücke zu bauen, wie sie zukünftig ein glaubwürdiger Partner in einem Klimadeal sein können.

Abendblatt: Die EU will ihre Emissionen bis 2020 um 20 Prozent reduzieren. Damit liegt sie unterhalb der Bandbreite von 25 bis 40 Prozent, die der Weltklimarat IPCC für nötig hält. Ist das für einen Vorreiter nicht etwas wenig?

Steiner: Die EU-Mitglieder haben sich zu einem 30-Prozent-Ziel verpflichtet, wenn andere Industriestaaten mitziehen. Damit ist Europa in Vorleistung getreten. Japan hat zum Klimagipfel eine 25-prozentige Emissionsreduzierung vorgeschlagen. Norwegen hat sich zu 40 Prozent verpflichtet. Es gibt Vorreiter, aber andere müssen mitziehen.

Abendblatt: Sie sind derzeit in China. Welchen Beitrag wird der globale Klimasünder Nummer eins leisten?

Steiner: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Daher sollte man bei der Beurteilung Chinas als Klimasünder vorsichtig sein. China ist dieses Jahr zum weltgrößten Windkraftproduzenten aufgestiegen. Erneuerbare Energien sind ein integraler Bestandteil der Entwicklungsstrategie dieses Landes, es hat eine CO2-arme Wirtschaftszukunft bereits in seine Planungen eingebaut. Aber natürlich ist dies in einem Land, in dem noch immer Hunderte von Millionen Menschen unter der Armutsgrenze leben, eine ganz besondere Herausforderung. Gerade deshalb hat der Westen ein Interesse daran, mit einer Finanzierungs- und Technologiepartnerschaft es China zu ermöglichen, sein Wirtschaftswachstum von den CO2-Emissionen zu entkoppeln. China hat in den letzten Monaten deutlich gemacht, dass es bereit ist, in Kopenhagen einen Beitrag zu leisten, wenn die Verursacherstaaten der vergangenen 100 Jahre ihre Verantwortung übernehmen.

Abendblatt: Die USA haben China aufgefordert, seinen CO2-Ausstoß bis 2050 zu halbieren. Selbst wenn die USA die eigenen Emissionen um 80 Prozent senken, liegt der Pro-Kopf-Ausstoß eines Amerikaners immer noch viermal höher als der eines Chinesen. Ist das gerecht?

Steiner: Über Statistiken lässt sich trefflich streiten. Der Klimagipfel scheitert, wenn nicht ein Weg gefunden wird, wie man die Annäherung der CO2-Zahlen mittel- bis langfristig sicherstellen kann. Man muss anerkennen, dass Länder wie China, Brasilien, Indonesien, Mexiko trotzdem zu Zugeständnissen bereit sind, obwohl sie gemessen am Pro-Kopf-Ausstoß gar nicht die historische Pflicht dazu hätten. Aber sie erkennen, dass die globale Klimaerwärmung ihre Zukunft bedroht.

Abendblatt: Vor einem Jahr forderten Sie den Global Green New Deal, ein grünes Weltkonjunkturprogramm als Ausweg aus der Wirtschaftskrise. Was ist daraus geworden?

Steiner: Beim Blick auf die Konjunkturprogramme der vergangenen zwölf Monate ist China das Land mit dem größten Green New Deal in absoluten Zahlen. Südkorea ist das Land mit dem höchsten prozentualen Anteil an grünen Konjunkturmaßnahmen. Beide Länder kommen gerade als Erste wieder aus der Krise heraus. Sie haben erkannt, dass ihre Entwicklungschancen auf dem Weltmarkt auch damit zu tun haben, wie schnell sie in eine CO2-arme Wirtschaftspolitik investieren können.

Abendblatt: Sehen Sie ein Aufweichen der deutschen Klimapolitik durch die neue schwarz-gelbe Regierung?

Steiner: So ein Urteil wäre verfrüht. Es wird sich zeigen, was Bundeskanzlerin Merkel und der neue Bundesumweltminister Norbert Röttgen an politischen Initiativen in den Verhandlungsprozess einbringen. Deutschland kann weiterhin eine Schlüsselrolle spielen. Kanzlerin Merkel könnte in den kommenden Wochen in einer globalen diplomatischen Initiative versuchen, den Industrieländern inklusive USA einen Reduktionsvorschlag der Weltgemeinschaft zu unterbreiten.

Abendblatt: Muss die Kanzlerin nach Kopenhagen reisen?

Steiner: Das habe ich nicht zu beurteilen. Der deutsche Verhandlungsvorschlag wird die ausschlaggebende Rolle spielen. Aber natürlich hilft die Präsenz eines Staatsoberhauptes.

Abendblatt: Alles in allem bleiben wir also optimistisch?

Steiner: Ja, besorgt optimistisch - in einer Zeit, in der wir fast über Nacht 3000 Milliarden Euro für Konjunkturpakte haben mobilisieren können, wäre es schwer nachvollziehbar, wenn wir als Staatengemeinschaft es nicht schaffen, die 100 Milliarden Dollar pro Jahr für die internationale Klimapolitik bereitzustellen. Wir dürfen keinesfalls mit dem Argument der Wirtschaftskrise die Handlungsfähigkeit der Weltgemeinschaft beim Klimawandel aufs Spiel setzen. Kopenhagen muss nicht scheitern, es darf nicht scheitern. Das wäre ein Risiko, das wir uns weder leisten noch gegenüber nachfolgenden Generationen vertreten können.