Kanzlerin warnt nach dem umstrittenen Luftangriff aber vor Vorverurteilungen. Opposition übt scharfe Kritik an Minister Franz Josef Jung.

Berlin. Sie hielt eine Regierungserklärung, die dem Wortsinn gerecht wurde: 20 Minuten sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern in der letzten Sitzung des Bundestags über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. In ungewöhnlich deutlicher Wortwahl erläuterte die Wahlkämpferin, die das Thema nach der Kritik an der Informationspolitik von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zur Chefsache gemacht hatte, warum die Regierung das Engagement der deutschen Armee am Hindukusch für alternativlos im Kampf gegen den Terror hält.

Sie selbst stehe nach der "schwersten militärischen Auseinandersetzung" in Nordafghanistan dafür ein, dass die Ereignisse "lückenlos" aufgeklärt werden, dass "wir nichts beschönigen": "Jeder in Afghanistan unschuldig ums Leben gekommene Mensch ist einer zu viel. Wir fühlen mit ihnen und ihren Angehörigen." Sollten Zivilisten ums Leben gekommen sein, dann bedauere sie das "zutiefst". Aber "Vorverurteilungen" werde sie nicht dulden. "Ich verbitte mir das im Inland wie im Ausland", wies die Kanzlerin in fast schon undiplomatischer Form jene Vorwürfe zurück, die bei Nato-Verbündeten laut geworden waren. Auch in den USA hatte es geheißen, dass die am vergangenen Freitag von der Bundeswehr veranlasste Bombardierung zweier entführter Tankwagen ein "Fehler" gewesen sei.

Merkel stellte eine internationale Afghanistan-Konferenz noch in diesem Jahr in Aussicht, wo Zahl- und Zielvorgaben gemacht werden sollen, wann die afghanische Polizei und Armee mit vielen Kräften für ihre eigene Sicherheit sorgen könne. Das Wort "Ausstiegsstrategie" vermied sie, sprach stattdessen von einer "Übergabe-Strategie in Verantwortung". Innerhalb der nächsten fünf Jahre müssten substanzielle und qualifizierte Schritte vereinbart werden. Niemand, rief Merkel den Gegnern des Einsatzes zu, solle sich täuschen: "Die Folgen von Nichthandeln werden uns genauso angerechnet." Es gelte, nicht die Umstände zu vergessen, die zum Einsatz in Afghanistan geführt hätten, erinnerte die Kanzlerin an die sich in wenigen Tagen zum achten Mal jährenden Terroranschläge des 11. September.

Noch staatstragender als bei Merkel geriet der Auftritt des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, der den "überzeugenden Inhalt" der Regierungserklärung lobte, die von seiner Partei "nachhaltig" unterstützt werde. Hinter dieser Rede könne sich hoffentlich auch die SPD versammeln, schließlich gehe es hier nicht um Parteitaktik, "sondern um unser Land", so Westerwelle, der die Gelegenheit nutzte, sich als möglicher neuer Außenminister in Szene zu setzen.

Merkels Herausforderer Frank-Walter Steinmeier (SPD) vermied Wahlkampftöne ebenfalls. Er rief zu Besonnenheit in der Diskussion um den Afghanistan-Einsatz auf. Der Kanzlerkandidat, der hier als Außenminister auftrat, wandte sich gegen einen sofortigen Abzug der deutschen Soldaten. Die Bundesrepublik sei in den Einsatz "nicht kopflos hineingestolpert" und dürfe das Land "auch nicht kopflos wieder verlassen".

Davon unbeeindruckt zeigte sich Oskar Lafontaine. Der Linksfraktionschef erklärte den Einsatz für gescheitert und forderte den Abzug der Truppe. In Afghanistan werde "mehr Unheil angerichtet Jahr für Jahr, weil immer mehr Menschen ums Leben gekommen sind, Soldaten und Zivilisten". Der Kampfeinsatz erhöhe die Terrorgefahr in Deutschland, er diene nicht dem Frieden und nicht der internationalen Sicherheit. Und er sei auch nicht zu gewinnen.

Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin nahm sich in seiner Replik vor allem Franz Josef Jung vor. Dessen Grundsatz laute: "Vertuschen, leugnen - und wenn es gar nicht anders geht, entschuldige ich mich für das, was ich vorher bestritten habe." Jung hatte am Wochenende erklärt, es seien am Freitag gar keine Zivilisten gestorben. Aus Trittins Sicht ist er dadurch zu "einer Belastung für die deutsche Afghanistan-Politik geworden".