Auch Deutschland denkt über seine Strategie in Afghanistan nach. Experten fürchten, dass es für die deutschen Soldaten gefährlicher wird.

Kabul. Im Rahmen des Strategiewechsels zur Befriedung Afghanistans hat Präsident Hamid Karsai Verhandlungen mit der Führung der Taliban angekündigt. Er wolle möglichst ranghohen Vertretern der Aufständischen die Hand reichen, um Frieden und Sicherheit nach Afghanistan zu bringen, sagte Karsai am Sonntag in Kabul. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass dies nur für jene Taliban gelte, die keine Verbindungen zum Terrornetzwerk al Qaida hätten.

Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) rechnet spätestens in einigen Monaten mit Ergebnissen der neuen Strategie, die am Donnerstag auf der internationalen Konferenz in London beschlossen worden war. „Im Herbst 2010 müssten wir absehen können, ob wir Erfolg haben werden“, sagte Guttenberg der „Bild“-Zeitung (Montag). Für die Bundeswehr werde es am Hindukusch Veränderungen geben. „Unsere Soldaten werden länger und häufiger die großen Feldlager verlassen.“ Der Kommandeur der deutschen Afghanistan-Truppen, Brigadegeneral Frank Leidenberger, rechnet mit einem vorübergehend gefährlicheren Einsatz.

Präsident Karsai sagte dem „Spiegel“, in London habe die Staatengemeinschaft „endlich“ begriffen, wie wichtig ein Aussöhnungsprogramm mit den Taliban für Afghanistan sei. Hätten die Verbündeten das schon vor acht Jahren unmittelbar nach dem Sturz des Taliban-Regimes eingesehen, stünde Afghanistan heute besser da. „Leider haben nicht alle auf uns gehört“, so Karsai. Der Westen habe erst jetzt erkannt, dass sich der Antiterrorkampf nicht gegen afghanische Dörfer richten dürfe, sondern gegen die „Rückzugsgebiete, die Trainingscamps, die finanziellen Unterstützer“ der Terroristen.

Die internationale Gemeinschaft hatte sich in London auf ein Aussteigerprogramm für gemäßigte Taliban verständigt, das in den kommenden Monaten mit umgerechnet 100 Millionen Euro unterstützt werden soll. Präsident Karsai sagte, dieses Geld werde verwendet, um Aufständische in die Gesellschaft zu reintegrieren. Die Kämpfer sollen damit „nicht bestochen werden“, ihre Waffen niederzulegen. Zudem sollen deutlich mehr afghanische Sicherheitskräfte von ausländischen Polizisten und Soldaten ausgebildet werden.

Die Taliban-Führung bekräftigte dagegen ihr Festhalten am „Heiligen Krieg gegen alle Invasoren“. In einer am Sonnabend in Kabul verbreiteten Erklärung dementierten die Extremisten die Bereitschaft zur Versöhnung und jede Friedensabsicht. Berichte über ein angebliches Treffen mit dem Afghanistan-Beauftragten der Vereinten Nationen, Kai Eide, wurden als „sinnlose und gegenstandslose Gerüchte“ bezeichnet. Nach diesen Berichten soll Eide Anfang Januar in Dubai mit Vertretern der Taliban zusammengekommen sein.

Der deutsche Brigadegeneral Leidenberger erwartet zunächst eine Zuspitzung der Lage für die deutschen Soldaten. „In der Anfangsphase werden wir gemeinsam mit den afghanischen Sicherheitskräften in die bedrohten Gebiete vorgehen und dort den Gegner verdrängen. Dadurch kann es mehr Gefechte geben“, sagte Leidenberger der „Bild am Sonntag“. Doch danach werde die Gefahr in Nord-Afghanistan deutlich abnehmen, „weil wir schließlich weiter präsent sind“.

Die Bundesregierung will die Truppen-Obergrenze in Afghanistan von 4500 auf 5350 erhöhen. Im Einklang mit Guttenberg hält Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch nach der Londoner Afghanistan-Konferenz den Termin für einen Bundeswehr-Abzug offen. „Ein Abzug ohne das Erreichen unserer Ziele und obendrein ein deutscher Alleingang wäre keine Übergabe in Verantwortung, sondern eine Aufgabe in Verantwortungslosigkeit“, sagte Merkel der „Welt am Sonntag“. Im Norden Afghanistans, dem Verantwortungsbereich der Deutschen, habe sich die Sicherheitslage in einigen Distrikten verbessert, anderswo aber auch deutlich verschlechtert, erklärte die Kanzlerin. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bekannte sich indes zum Ziel, den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan 2011 zu beginnen. Er lehnte es aber ab, hierfür eine Garantie abzugeben.