MÜNCHEN. Nur mit einem radikalen Umbau des Schul- und Vorschulsystems kann in Deutschland mehr Bildungsgerechtigkeit realisiert werden. Das ist die Kernaussage eines Gutachtens, das der "Aktionsrat Bildung" gestern in München vorstellte. Weitere zentrale Forderungen sind flächendeckende Ganztagsschulen, Qualitätskontrollen für Lehrer und einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. Die bisherigen Reformen werden als unzureichend bezeichnet. Gefragt sei rasches Handeln der Politik.

Der Aktionsrat war vor eineinhalb Jahren auf Initiative der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gegründet worden, ihm gehören insgesamt sieben Professoren an. Darunter ist auch der Pisa-Koordinator in Deutschland, Manfred Prenzel.

Neben der Expertenforderung nach einer bundesweiten Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen machten die Forscher auch Vorschläge zur Sicherung der Unterrichtsqualität. Die Kontrolle soll den Vorschlägen zufolge über eine qualitätsbezogene Finanzierung von Schulen erfolgen. Dafür sollen die Schulen zum Teil privatisiert werden und mehr Autonomie erhalten, um ihre Lehrer selbst und nach Leistung bezahlen zu können.

Die Pädagogen sollten zudem nur noch befristet eingestellt und ihre Weiterbildung verpflichtend werden. "Sie können am System so viel ändern wie sie wollen, wenn die Unterrichtsqualität schlecht bleibt, ändert sich nichts", erklärte der Präsident des Aktionsrats, Dieter Lenzen.

Für Kinder im Vorschulalter fordern die Bildungsexperten ausreichend Krippenplätze ab dem zweiten Lebensjahr sowie eine Kindergartenpflicht ab vier Jahren. Kindergärten sollen beitragsfrei sein. Damit unterstützten die Forscher auch entsprechende Forderungen von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU).

Das Bundesbildungsministerium reagierte zurückhaltend auf den Bericht. Die Erkenntnisse seien nichts revolutionär Neues, sagte Sprecher Elmar König. Spätestens seit Pisa hätten einige Länder intensive Reformanstrengungen unternommen, die jetzt Früchte trügen.

Heftige Kritik übten Lehrerorganisationen. Der Deutsche Lehrerverband (DL) erklärte, der Aktionsrat liege mit mehreren Forderungen voll daneben. So würde eine Zusammenlegung von Haupt- und Realschule ein Drittel der Schüler über- und ein weiteres Drittel unterfordern. Die Forderung nach einer befristeten Einstellung von Lehrern würde zudem die Nachwuchsprobleme verschlimmern.

Von "fragwürdigen Wirtschaftsfantasien" sprach der Verband Bildung und Erziehung (VBE). Schulen seien keine Wirtschaftsbetriebe, die passgerechte Schablonen produzieren sollen. Nach Ansicht des Deutschen Philologenverbandes (DPhV) würde die von den Gutachtern vorgeschlagene Privatisierung des Bildungswesens strukturschwache Regionen eklatant benachteiligen.

Der Bundesverband Deutscher Privatschulen (VDP) begrüßte dagegen die Studie. Hohe Autonomie und eine gleichwertige Finanzierung unabhängig von der Trägerschaft seien der Schlüssel zu den dringend benötigten Verbesserungen, sagte VDP-Geschäftsführer Christian Lucas.