Abendblatt Sonntags: Wie wichtig ist es für die Entwicklung eines Kindes, dass beide Eltern zu Hause sind und aktiv an der Erziehung teilhaben?

Prof. Dr. Peter Riedesser: Es ist wichtig, dass beide Eltern genügend Zeit mit ihrem Kind verbringen. So kann auch der Vater schon früh eine eigenständige, liebevolle Beziehung zu seinem Kind entwickeln. Die Mutter hingegen muss die Verantwortung für das Kind nicht allein tragen und hat einen hinreichend großen Raum für eigene Aktivitäten. Und das Baby hat damit zwei zentrale Bezugspersonen. Kinder entwickeln eine tiefe Sehnsucht nach dem Vater, einen "Vaterhunger", der auf diese Weise gestillt werden kann. Dadurch herrscht ein nicht so distanziertes Verhältnis von Vätern zu Säuglingen und Kleinkindern wie es in der Generation der Großeltern die Regel war. Eine gute Vater-KindBeziehung ist eine enorme Bereicherung und für die seelische Gesundheit wichtig. Es gibt noch einen Langzeiteffekt: Diese Kinder werden ihre nahe, gute Beziehung zum Vater auch an ihre eigenen Kinder weitergeben, wenn sie später selbst Eltern werden. Die guten Erfahrungen werden sie auch an ihre Eltern zurückgeben, wenn diese als Großeltern alt und pflegebedürftig sind.

Inwiefern wirkt sich eine gemeinsame Erziehung von Mutter und Vater auf die Leistungsfähigkeit eines Kindes aus?

Riedesser: Kinder, die in einer guten Beziehung zu beiden Eltern aufwachsen und satt von mütterlicher und väterlicher Liebe sind und sich nicht vernachlässigt oder in Beziehungskonflikte hineingezogen fühlen, sind spiel- und lernfreudiger. Ihre Aufmerksamkeit und Konzentration wird nicht durch innere oder familiäre Konflikte gestört.

Was bedeutet das Aufbrechen der traditionellen Rollenverteilung für die Gesellschaft?

Riedesser: Es ist unerlässlich, dass ein Umdenken in der Gesellschaft stattfindet und Männer mehr ihrer Rolle als Väter gerecht werden. Ich denke, dass es in naher Zukunft für selbstverständlich gehalten wird, dass Väter ebenfalls zu Hause bleiben und sich um Säuglinge und Kleinkinder kümmern. Männer werden weiter Schritt für Schritt begreifen, dass diese neue Rolle auch ganz besondere Chancen und Befriedigungen bietet und auch die Beziehung der Eltern untereinander bereichert.