Appell - Abgeordnete können privat genutzte Flugmeilen nachträglich bezahlen. Die Fraktionen bleiben gelassen. Berlin

Die meisten Bundestagsfraktionen unternehmen derzeit formell nichts, um von ihren Mitgliedern Aufklärung über deren Umgang mit dienstlich erworbenen Bonusmeilen zu erhalten. Es gebe keine interne Umfrage, erklärten Fraktionssprecher von SPD, Union und FDP gegenüber dem Abendblatt. Eine Sprecherin der Unions-Fraktion sagte, man gehe davon aus, dass jeder Parlamentarier die Regeln kenne und wisse, "dass man sich daran zu halten hat". Es gebe keinen Grund, jemanden zu verdächtigen. Einhellige Auffassung bei den Fraktionen war, dass Bundestagspräsident Wolfgang Thierse nun einen Vorschlag machen müsse, damit das System so klar geregelt werde, dass es nicht länger zu Unklarheiten kommen könne. Die FDP-Fraktion hat nach Angaben einer Sprecherin schon vor längerer Zeit ihre Mitglieder auf die Verhaltensregeln zum Umgang mit dienstlich erworbenen Meilengutschriften hingewiesen. "Bisher sind wir clean", sagte die Sprecherin. Die PDS-Fraktion versucht derzeit, in den eigenen Reihen Klarheit zu schaffen. Da etliche Parlamentarier in Urlaub seien, habe die Fraktion derzeit noch keinen Überblick, hoffe ihn aber Anfang kommender Woche zu haben. Die aktuell betroffenen Politiker, Klaus Lennartz von der SPD, Ulla Jelpke von der PDS und Renate Blank von der CSU sagten einhellig, dass sie keinesfalls dienstlich erworbene Bonusmeilen für Privatflüge eingesetzt hätten. Auch Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) betonte bei einem Besuch der Redaktion des Hamburger Abendblatts erneut, dass seine privaten Freiflüge nur aus privat erworbenen Bonusmeilen stammten. Wenn auch die Fraktionen bislang keinen Vorstoß unternommen haben, die Affäre zu einem Ende zu bringen, so hat schon am Mittwoch Bundestagspräsident Thierse einen ersten Versuch unternommen, Licht ins Dickicht und die Kuh vom Eis zu bringen. In einem Brief, der dem Abendblatt vorliegt, gibt er den Abgeordneten "die Möglichkeit" - "für den Fall, dass dienstlich erworbene Bonusmeilen privat eingesetzt worden sind" - den entsprechenden Betrag dem Deutschen Bundestag zu ersetzen. Dazu wird eine Kontonummer bei der Deutschen Bundesbank genannt. Angefügt hat Thierse dem Schreiben einen Brief vom 28. Juni 2001, in dem er bereits ausdrücklich dazu aufgefordert hat, aus Haushaltsgründen bevorzugt Bonusmeilen für Dienstflüge einzusetzen. "Die angespannte Haushaltslage zwingt dazu, Lösungen zu finden, um dem enormen Kostendruck zu begegnen", heißt es in diesem Brief. Beantragte Dienstreisen hätten schon zurückgestellt, zum Teil abgelehnt oder in das nächste Haushaltsjahr verschoben werden müssen. Weiter heißt es in dem Schreiben: "Eine wesentliche Kostenersparnis kann bei Flugreisen durch den Einsatz von Bonusmeilen aus dem Vielfliegerprogramm erreicht werden." Die Buchungen könnten über die Reisestelle des Bundestags vorgenommen werden. Dies setze jedoch voraus, dass die Reisestelle die Prämiengutschriften und die von der Lufthansa zugeteilten PIN-Codes der Abgeordneten erhalte. Von Seiten der SPD und der Grünen wurde gestern der Vorwurf laut, die Enthüllungen der "Bild" seien eine gezielte Kampagne. Die Zeitung mache sich im Wahlkampf zum "Hilfs-Trupp" der Union, sagte Grünen-Chef Fritz Kuhn. Bundeskanzler Gerhard Schröder nannte die schrittweise Enthüllung "politisch motiviert". "Es fällt auf, dass das von großer Einseitigkeit ist", sagte er - und griff auch die Lufthansa an. Aus dem Verantwortungsbereich des Unternehmen seien offenbar "bewusst oder wie auch immer" Informationen " an jene bekannte Zeitung gelangt", sagte Schröder. Auch Thierse kritisierte das Verhalten der Lufthansa: "Was hat sie getan, um die Veröffentlichung in ,Bild' zu unterbinden?" "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann wies die Vorwürfe gegen sein Blatt nachdrücklich zurück.