Gregor Gysi - Als Anwalt der sozial Schwachen gestartet, strauchelte er über die Verführung der Macht.

Hamburg. "Wenn eine Gesellschaft es nicht schafft, ihre Besserverdienenden, ihre Vermögenden und ihre Reichen zur Solidarität zu zwingen und die das nicht akzeptieren, gibt sie sich selber auf, zumindest moralisch." Mit solchen Sätzen begeisterte Gregor Gysi sein Publikum. Bevor sich der prominenteste aller PDS-Politiker wegen der Bonus-Flüge hätte selbst aufgeben müssen, hat er seine Ämter niedergelegt. Ein durch und durch honoriger Schritt. Zumindest auf den ersten Blick. Denn ob die Flug-Affäre der einzige Rücktrittsgrund war, scheint fraglich. Immer wieder sah sich Gysi mit Stasi-Vorwürfen konfrontiert. Eine erneute Stasi-Überprüfung aller Berliner Senatoren und Abgeordneten stand ins Haus. Und das Amt des Wirtschaftssenators in der finanziell maroden Hauptstadt dürfte auch kein Quell der Freude gewesen sein, zumal Erfolge ausblieben. Obendrein stürzt Gysi seine Partei und die rot-rote Koalition in Berlin mit seinem Rückzug in eine ernste Krise. Mit Rücktritten hat Gysi (54) bereits Erfahrung. Im Herbst 2000 verabschiedete er sich bereits einmal von der politischen Bühne. Er wollte wieder ausschließlich als Anwalt arbeiten. Einen Beruf, den der Sohn des ehemaligen DDR-Staatssekretärs für Kirchenfragen, Klaus Gysi, an der Ostberliner Humboldt-Universität erlernte. Zu seinen Mandanten zählten auch prominente Dissidenten wie Robert Havemann und Rudolf Bahro. Und aus Kreisen der DDR-Bürgerrechtler ebbten nie die Vorwürfe ab, er habe als "IM Notar" seine Mandanten an die Stasi verraten. Der politische Stern Gregor Gysis ging in der Wendezeit auf. Als im Dezember 1989 die alte Garde der SED von der Bühne verschwand, galt Gysi als Erneuerer und Hoffnung der SED. Zusammen mit Hans Modrow und dem Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer verhinderte er auf einem dramatischen Parteitag die Auflösung der Partei und betrieb fortan ihren Umbau zur PDS. Schlagfertig, humorvoll und auf allen Fernsehkanälen - so versuchte in den folgenden zehn Jahren der Parteivorsitzende (bis 1993) und Fraktionschef im Bundestag die PDS als moderne linke Reformpartei zu präsentieren und die Westausdehnung zu schaffen. Während ihm das eine wenigstens teilweise gelang, scheiterte er mit dem anderen. Zehn Jahre im Rampenlicht schienen ihm dann genug. Gysi, mit der früheren PDS-Abgeordneten Andrea Lederer verheiratet und Vater dreier Kinder, wollte sein Leben privatisieren. Doch nach dem Sturz der großen Koalition in Berlin entschloss sich Gysi aber doch, als Spitzenkandidat der Berliner PDS für die Wahlen am 21. Oktober 2001 anzutreten. Am 17. Januar wurde er unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen sowie Bürgermeister. In der ehemals von der SED durch Mauer und Stacheldraht geteilten Stadt wollte er nach eigenem Bekunden der Bürgermeister aller Berliner sein, auch jener, die ihn nicht gewählt haben: "Ich stehe für Brücken bauen und nicht für Mauern." Damit ist es nun nach nur einem halben Jahr vorbei. Zurück lässt er eine Partei, in der kurz vor der Bundestagswahl niemand auch nur annähernd seine Popularität und Ausstrahlung erreicht. Und er verlässt eine Landesregierung mit ungelösten, vielleicht sogar unlösbaren Problemen.