Kommentar

Erst trug es den Grünen Jungstar Cem Özdemir aus der Bahn, nun stürzte die PDS-Ikone Gregor Gysi ab. Sie verstießen gegen parlamentarische Verhaltensregeln, weil sie dienstlich erworbene Bonusmeilen für Privatflüge genutzt hatten. Beider Abgang ist konsequent. Es gibt keinen Grund, sie in Schutz zu nehmen oder ihr Fehlverhalten zu rechtfertigen. Gleichwohl legten Özdemir und Gysi die moralische Messlatte für Rücktritte bedenklich niedrig. Natürlich sollten Politiker Vorbilder sein und ihr Verhalten tadelsfrei. Dennoch drängt sich die Frage auf, ob das Maß der öffentlichen Empörung den konkreten Vergehen angemessen ist. Wenn nämlich das Karriereende bereits für lässliche Sünden als gerechtfertigte Strafe gilt, dann haben künftig in der Politik und anderen Berufen womöglich nur noch Heilige eine Überlebenschance. Die Politik muss jetzt aus der Bonusmeilen-Affäre dringend Konsequenzen ziehen. Die Verhaltensregeln für Abgeordnete gehören konkretisiert und transparenter gestaltet. Grauzonen müssen verschwinden. Nur so lässt sich das angeschlagene Vertrauen in die Redlichkeit von Politikern wieder aufbauen. Für die Grünen war Özdemirs Rücktritt ein Schlag. Doch Gysis Abgang ist für seine Genossen mehr - eine Katastrophe. Denn er prägte von der PDS ein Bild, das mit der miefigen Realität in dieser weltfremden Partei nichts zu tun hatte. Gysi machte sie salonfähig. Jetzt, ohne ihr Zugpferd, muss die PDS um ihre Wahlchancen am 22. September fürchten. Auch für die rot-rote Koalition in Berlin ist der Abgang des wendigen Senators ein harter Dämpfer. Bedenklich wäre es, wenn jetzt die Bonusmeilen-Affäre den gesamten Wahlkampf überlagern würde. Am 22. September geht es darum, wie Deutschland am besten aus der Krise kommt. Deshalb sollte jetzt endlich wieder mehr über Reformkonzepte gestritten werden und weniger um Flüge und Bonusmeilen.