Regierungserklärung: Die ersten Worte galten der Sorge um die Deutsche Geisel im Irak. Intensive Bemühungen um die Freilassung von Susanne Osthoff. Motto der neuen Kanzlerin für die Innenpolitik: “Mehr Freiheit wagen!“

Berlin. Überschattet von der Entführung der Deutschen Susanne Osthoff und ihres Fahrers im Irak, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern ihre erste Regierungserklärung im Bundestag abgegeben. Zum Auftakt ihrer Rede kündigte Merkel einen entschiedenen Kampf gegen den Terrorismus an. Die Regierungschefin sprach in ihrer eineinhalbstündigen Regierungserklärung den Angehörigen der entführten Deutschen aus Glonn in Bayern ihr Mitgefühl aus. Und sie erklärte nachdrücklich: "Diese Bundesregierung, und ich denke auch dieses Parlament - wir alle lassen uns nicht erpressen." Genauso klar sei: "Alle Anstrengungen der Bundesregierung sind in dieser Situation darauf gerichtet, das Leben von Susanne Osthoff und ihrem irakischen Begleiter zu schützen und ihre Freilassung zu erreichen."

Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, die intensiven Bemühungen um die Freilassung der Geisel würden unvermindert fortgesetzt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bezeichnete die Geiselnahme als Warnung des internationalen Terrorismus an Deutschland. Motive der Tat sind bislang nicht bekanntgeworden. Die Regierung geht aber davon aus, daß Osthoff in Lebensgefahr schwebt.

Die Kanzlerin legte in ihrer Rede ein klares Bekenntnis zu den mit der SPD vereinbarten Reformen ab. Allerdings werde es nicht einen großen, sondern viele kleine Reformschritte geben, um Deutschland in zehn Jahren wieder unter die "ersten drei" in Europa zu führen.

Um dieses Ziel zu erreichen, müsse die große Koalition bis 2009 dicke Bretter bohren. "Wir wollen den Föderalismus neu ordnen, wir wollen den Arbeitsmarkt fit machen, wir wollen unsere Schulen und Hochschulen wieder an die Spitze führen, wir wollen unsere Verschuldung bändigen und unser Gesundheits- und Rentensystem und die Pflege in Ordnung bringen", kündigte die Kanzlerin an.

In Anlehnung an den Ausspruch des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) - "Mehr Demokratie wagen" - formulierte Merkel als ihren Grundslogan: "Laßt uns mehr Freiheit wagen."

Ausdrücklich dankte sie bei dieser Passage ihrem Vorgänger im Kanzleramt, Gerhard Schröder (SPD). Er habe mit seiner "Agenda 2010" mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen, um die Sozialsysteme zu modernisieren. "Damit hat er sich um unser Land verdient gemacht. Nicht zuletzt dafür möchte ich ihm im Namen aller Deutschen danken."

Im Bereich der Europäischen Union und in der Weltpolitik richteten sich auf Deutschland große Erwartungen, sagte Merkel. Europa stecke in einer großen Krise. Sie werde auf dem Dezember-Gipfel der EU für eine Lösung eintreten, die im gesamteuropäischen Interesse liege.

Die Reaktionen auf Merkels Rede reichten von "grandios" bis "gähnend langweilig". Am heftigsten wurde sie von der Opposition attackiert. Sie sprach der großen Koalition den Willen zu durchgreifenden Reformen ab. FDP-Chef Guido Westerwelle sprach von der "Politik der Trippelschritte".