Nur noch 250 Tage bleiben der SPD, die größte Wahlschlappe ihrer Bundestagsgeschichte zu vermeiden. Nach Bayern, Hessen, den aktuellen...

Nur noch 250 Tage bleiben der SPD, die größte Wahlschlappe ihrer Bundestagsgeschichte zu vermeiden. Nach Bayern, Hessen, den aktuellen 25-Prozent-Sonntagsfragen und dem erfolglosen Wechsel von Kurt Beck zu Steinmeier und Müntefering dürfen die Genossen keine Minute mehr warten, ihre Partei rigoros umzupolen. Rigoros und klare Kante: die einzige Chance der SPD auf ein annehmbares Wahlergebnis am 27. September.

Wenn nicht jetzt, wann dann wäre Hochzeit für die SPD? Wo Angst und Wut die Deutschen bewegen: Angst vor wachsender Arbeitslosigkeit, vor weniger Barem. Wut auf die zunehmend ungerechtere Verteilung der Einkommen. Auf eine Heuschreckenwirtschaft, die keiner mehr versteht und betrügerischem Tun Tür und Tore öffnet. Wenn nicht jetzt, wo Deutschland ruckt - und zwar nach links: 34 Prozent der Deutschen bezeichnen heute ihre politische Grundeinstellung als "links", 1985 waren es nur 17 Prozent. Starker Staat statt starke Wirtschaft: So das Credo, nach dem jahrelang "Entfesselung" gepredigt wurde. Deutschland ist im Grunde ein sozialdemokratischer Staat. Und dennoch dümpelt die SPD um die 25 Prozent in der Sonntagsfrage. Warum?

Erstens: Die SPD hat ihre Wähler schwer enttäuscht: Zerstrittenheit, dafür aber keine Linie, kein Profil, kein sozialdemokratischer Stallgeruch. Seit Gerhard Schröder halten 79 Prozent unsere Gesellschaft für "sozial ungerecht". Zweitens: Die SPD ist im Grunde zwei Parteien. Ist sie Nahles oder Müntefering? Steht sie für oder gegen Schröders Agenda? Für oder gegen eine Koalition mit den Linken? Die SPD ist hin- und hergerissen zwischen den politischen Polen. SPD heißt Beliebigkeit, schlimmer: völlige Ungewissheit wählen.

Das Schlimmste: Die SPD leidet unter dem Y-Faktor des wahltaktisch-waghalsigen Machterhalts - mal mit, mal ohne Links, je nach persönlichem Pöstchengeschachere. Zudem versagt die SPD ausgerechnet bei der vornehmsten aller sozialdemokratischen Tugenden: die Gesellschaft zu versöhnen statt zu spalten. Ihr Umgang in Hessen mit den vier "Rebellen" war für viele Wähler ein noch stärkerer Grund, sich von den Genossen zu verabschieden, als die Links-Volte.

Aus "Pro"-Wählern werden immer häufiger "Kontra"-Wähler. Nur noch jeder zweite Hesse hat am Sonntag die Partei seiner Überzeugung, mehr als 40 Prozent dagegen aus Enttäuschung eine andere als die im Grunde präferierte gewählt.

Was also ist für die SPD zu tun? Es gibt vier Chancen. Alle fordern "klare Kante".

Die erste: rigorose Linie im Umgang mit der Linken, weil sich dadurch Wähler und Kandidaten völlig anders definieren. Entweder ist die SPD die "Frontrunner-Partei" der "Vereinigten Linken" - dann mit aller Konsequenz in Parteiprogramm und Kandidaten; immerhin gibt es bei uns 40 Prozent Wähler links der Mitte. Oder völliges linkes Entsagen, und zwar für lange Zeit auf allen Ebenen. Mit der neuen Glaubwürdigkeit muss noch heute begonnen werden. Roland Koch hat das in Jahresfrist nicht geschafft, die Zeit ist also denkbar knapp.

"Mit ohne Links" müsste zweitens flankiert werden durch den "New Deal" der wechselseitigen Verpflichtung zwischen Unternehmen und Beschäftigten: Die SPD ist die Mediator-Partei. Unternehmerfreundlich, verlangt zugleich aber mehr Sicherheit für die Beschäftigten. Andererseits fordert sie dafür von ihnen mehr Leistung, Mobilität, geringere Einkommenszuwächse. Der dritte Weg: rigorose Mittelstands- statt Multipolitik. Zu stark ist deren Image durch "Entlassungen trotz Rekordgewinnen" geprägt. Der Mittelstand schafft Beschäftigungszuwachs. Unter der Ägide des hoch angesehenen Peer Steinbrück könnte die SPD die Partei des Mittelstandes werden.

Viertens: zurück zur Kümmererpartei der kleinen Leute! SPD-Credo ist das der sozialen Gerechtigkeit, die Reduzierung des Unterschieds zwischen Arm und Reich, Ost und West, Alt und Jung. Die SPD muss Aufstiegschancen verdeutlichen statt Abstiegsängste bedienen.


Klaus-Peter Schöppner ist Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Emnid mit Sitz in Bielefeld.