Geschwächt geht die Regierung in die letzten Monate vor der Bundestagswahl. Nichts ist mehr möglich ohne die Liberalen.

Berlin/Hamburg. Franz Müntefering war sichtlich verärgert. Der SPD-Chef zeigte kaum eine Regung, während zu seiner Rechten Thorsten Schäfer-Gümbel versuchte, die Ratlosigkeit der Genossen nach der bitteren Wahlniederlage in Hessen mit guter Laune aufzubrechen. Zu tief saß beim SPD-Chef die Enttäuschung über die 23,7 Prozent und die böse Ahnung, dass den Sozialdemokraten bis zur Bundestagswahl schwierige Zeiten bevorstehen. Der massive Vertrauensverlust in Hessen schwächt die Handlungsfähigkeit der Bundespartei - und die der Großen Koalition.

Obwohl die CDU bei der Hessen-Wahl nur auf 37,2 Prozent kam und nun ein Teil ihrer Macht im Bundesrat an die FDP abgeben muss, sind die Sozialdemokraten die eigentlichen Verlierer der neuen Stimmenverhältnisse in der Länderkammer. Union und FDP, ohnehin Wunschpartner für die Zeit nach der Bundestagswahl, können schon beim Konjunkturpaket ihre Kooperationsfähigkeit testen und damit die SPD in die Enge treiben.

Als ob er schon ahnte, was auf ihn zukommen könnte, zeigte sich der SPD-Chef gestern von seiner trotzigen Seite: Er sehe keinen Anlass für Änderungen an dem 50-Milliarden-Paket von Union und SPD, das möglichst bis Mitte Februar alle parlamentarischen Hürden genommen haben soll. Müntefering warnte die Union vor Zugeständnissen an die FDP. "Es ist natürlich klar, dass die FDP nicht der vierte Koalitionspartner sein kann", sagte er. Dabei sind neue Auseinandersetzungen über das Konjunkturpaket bereits programmiert. Sicherheitshalber warnte Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel die FDP zwar vor überzogenen Forderungen, schloss aber Nachbesserungen nicht aus.

Die Große Koalition, die nun mit der fünften schwarz-gelben Landesregierung ihre Mehrheit im Bundesrat verliert, muss jedes Gesetz von der FDP billigen lassen. Die Kanzlerin mahnte, dies bedeute zusätzliche staatspolitische Verantwortung für die FDP. "Sie kann die Oppositionsrolle nicht mehr so einfach spielen", sagte die CDU-Chefin. Die FDP dürfe ihre Position "nicht überreizen". Dies werde sonst "bei der Bevölkerung nicht gut ankommen".

Auch Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach warnte die Liberalen: "Wenn die FDP wieder nüchtern ist, wird sie schnell feststellen, dass sie an politischem Gewicht gewonnen hat und dass sie deshalb nicht mehr reine Opposition machen kann."

Einen großen Aktionsradius für die FDP sieht Bosbach nicht: An Gesetzesvorhaben stehe keines von der Qualität etwa der Erbschaftssteuerreform mehr an.

Neben der Umsetzung des Konjunkturpakets will die Koalition bis zum Sommer zumindest noch die Finanzmarktregulierungsgesetze beschließen. Peer Steinbrücks Pläne zum Austrocknen von Steueroasen könnten Stoff genug für Reibereien mit Union und FDP geben, fürchten die Sozialdemokraten.

Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Ortwin Runde warnte eindringlich vor Blockaden. "Angesichts der Wirtschaftskrise, die in den nächsten Monaten für die Bevölkerung spürbar wird, werden wir Handlungsfähigkeit auf der internationalen Ebene zeigen müssen und bei der Umsetzung auf Bundesebene", sagte er dem Abendblatt. Viel Zeit für Wahlkampf werde die Koalition nicht haben. "Wir werden bis zur parlamentarischen Sommerpause vollauf damit beschäftigt sein, die notwendigen Gesetze aus den Konjunkturpaketen auszuarbeiten und zu verabschieden", sagte der ehemalige Erste Bürgermeister der Hansestadt.

Doch selten Tag zuvor bestimmte die Bundestagswahl bereits gestern das politische Berlin. So sehr die Kanzlerin zu dementieren versuchte, dass es nun zu einem Lagerwahlkampf im Bund komme, meinte Franz Müntefering genau diesen bereits in der Annäherung von Union und FDP nach der Hessen-Wahl zu erkennen: "Schwarz-Gelb ist dabei, wieder ein Lager aufzubauen", sagte Müntefering nach der SPD-Präsidiumssitzung. Dies mache "die Situation klarer".

Wie viel Handlungsfähigkeit die Große Koalition angesichts dieses Vorwahlkampf-Geplänkels noch aufbringen kann und will, ist unklarer denn je. Denn auch die CDU war gestern vor allem mit sich selbst beschäftigt. Das schwache Abschneiden in Hessen im Nacken - Roland Koch hat gegenüber dem schwachen Vorjahresergebnis kaum hinzu gewinnen können - , kündigte die Kanzlerin trotz einer Koalitionsaussage für die FDP an, die Union werde für ihre eigene Stärke kämpfen. Hessen sei ein gutes Signal für die angestrebte Ablösung der Großen Koalition im Bund. "Aber auch ein Signal, bei dem deutlich wird, wir haben als Union noch Arbeit vor uns."