Lafontaine: Wann kehrt er in die aktive Politik zurück? Es scheint, als könne er es kaum erwarten - im Gegensatz zu vielen Spitzengenossen, die ihn als Anti-Schröder fürchten.

Hamburg. Seinen Träumen ist er bis heute treu geblieben. Das hat Oskar Lafontaine, der gestern im Saarbrücker Rathaus mit einer launigen Rede seinen 60. Geburtstag feierte, erst am Wochenende wieder bestätigt. PDS und SPD sollten im Osten Deutschlands eine vereinigte linke Volkspartei bilden, schlug er in einem Interview vor. Und bezog dafür prompt böse Prügel. "Quatsch", meierte SPD-General Olaf Scholz seinen altlinken Genossen ab. Manfred Püchel, SPD-Chef von Sachsen-Anhalt, meinte kurz und bündig, Lafontaine sei wohl betrunken gewesen. Beide Äußerungen beweisen ein gehöriges Maß an Unkenntnis über den wahren Charakter des saarländischen "Enfant terrible", das sich anzuschicken scheint, die Granden seiner Partei wieder das Fürchten zu lehren. Ob er sich dabei auf das Saarland beschränken wird, ließ er in seiner gestrigen Rede noch offen. Aber auch sonst mehren sich in jüngster Zeit Anzeichen dafür, dass Willy Brandts Lieblingsenkel daran denkt, seine 1999 selber weggeworfene politische Karriere neu aufzulegen. In mehreren Talkshows wollte der Saarländer ein politisches Comeback nicht länger ausschließen. In einem Saarbrücker Bierzelt verwies er kürzlich auf alte Rechnungen, die er mit Gerhard Schröder noch zu begleichen habe. Für den Bundeskanzler, dem zweiten Alpha-Tier in der SPD, könnte sich eine solche Entscheidung zu einem Super-Gau für seinen Machtanspruch entwickeln. Noch spielt die Parteispitze in Berlin jedoch Rückkehrgerüchte herunter. "Na ja, der Oskar", heißt es dort eher. Noch will auch niemand zugeben, dass Lafontaines Rolle des Pfahls im Fleische der SPD zu nerven beginnt. Auch wenn dieser in den vergangenen knapp fünf Jahren eher durch Talkshow-Auftritte, Bücher und Zeitungskolumnen in den Medien präsent geblieben ist als durch politische Aktionen. Trotzdem hat der brillante Redner aus dem Südwesten Deutschlands - manche sprechen auch von demagogischen Qualitäten - die Sehnsucht so mancher Sozialdemokraten nach einem Mann mit ideologisch sauberer Weste zu konservieren verstanden. Im nächsten September sind Wahlen im Saarland. Sollte Lafontaine gegen den Ministerpräsidenten Peter Müller antreten und sogar gewinnen, dann könnte sich starker innerparteilicher Widerstand aufbauen, den Schröder bisher noch immer domestizieren konnte. Und den er wegen der Durchsetzung seiner Sozialreformen am allerwenigsten aus eigenen Parteireihen gebrauchen kann. Aber noch ist es nicht so weit. Noch lässt Lafontaine seine Partei zappeln. Ob aus mangelndem Entscheidungswillen oder weil er die Zeit dafür noch nicht reif hält, ist schwer zu ergründen. Der Saarländer hat einen doppelbödigen Charakter, zu dem Zaudern ebenso gehört wie strategisches Denken. Letzteres hatte er 1995 in Mannheim unter Beweis gestellt, als er mit einem genialen Coup den schwachen Parteichef Rudolf Scharping wegputschte. Zu lange zauderte er, als es dann um die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl im Herbst 1998 ging. Statt seinen Anspruch klar anzumelden, überließ er es dem Mann aus Hannover, die dortige Landtagswahl auch zum Plebiszit über die K-Frage zu machen. Für Lafontaine, der nie wie sein Widersacher von der Leine an den Toren des Kanzleramtes gerüttelt und gerufen hatte: "Ich will hier rein", war dies eine der herbsten persönlichen Niederlagen. Denn eines steht bis heute fest: Lafontaine hat sich immer für den besseren Kanzler gehalten. Sein überraschender Rücktritt vom Amt des Finanzministers nach nur wenigen Monaten hat dies unterstrichen. Vieles ist damals über die Beweggründe des Fahnenflüchtigen räsoniert worden. Über seinen rechthaberischen Narzissmus, seine intellektuelle Überheblichkeit, aber selbst seine Gegner sahen in ihm nie den Machtzyniker, der Schröder bis heute geblieben ist. Lafontaine ist immer viel mehr Überzeugungstäter gewesen, ein Politiker, der an die Richtigkeit seines Tuns glaubte und an dem Kritik deswegen abprallte. Seine früh geäußerten Einwände gegenüber dem Wiedervereinigungsprozess - damals wie Vaterlandsverrat empfunden - hängen ihm noch heute an. Er hat sich nie davon distanziert. Beliebigkeit und platter Karrierismus, das hat er in seinem bisherigen Politikerleben bewiesen, gehören nicht zu seiner Charakterstruktur. Vielmehr habe das Attentat auf ihn im Wahlkampf 1990 eher seltsam frei gemacht, wie Peter Glotz einmal schrieb. Der Vorwurf der Fahnenflucht, der auch heute noch gegen ihn erhoben wird, dürfte Lafontaine deshalb schwerer treffen als der härteste politische Vorwurf. Für Schröder, und das erklären die wütenden Reaktionen seiner engsten Parteifreunde auf die Angriffe des Saarländers gegen die von der Regierung zu verantwortende soziale Kälte in diesem Land, wiegt dieser Lafontaine immer noch mühlsteinschwer. Und dabei geht es letztendlich nicht nur um die Frage, ob Lafontaine nun noch einmal eine Rückkehr in die Politik wagt oder nicht. Das Faszinosum von Lafontaine ist, dass er noch immer die Seele vieler Sozialdemokraten ansprechen kann, Nestwärme verbreitet. Das hat Schröder nur selten vermocht, und er weiß, dass ihm dieser Mangel noch einmal zum Verhängnis werden könnte. Geschichte, so mögen die SPD-Granden in Berlin befinden, wiederholt sich nicht. Aber ein klein wenig Angst vor dem idealen Anti-Schröder haben sie schon. So mancher im Willy-Brandt-Haus würde deshalb auch gerne sein Verhältnis zu dem prominenten Politrentner wieder normalisieren. Einer aus der SPD-Spitze wird mit dem Satz zitiert: "Lafontaine müsste nur sagen: ,Ich bin ein ehemaliger Parteivorsitzender, und ich benehme mich so.' Dann wird er auch so behandelt." Bevor das passiert, so befürchten jedoch andere, wird Lafontaine wohl doch eher Papst.