Kommentar

Die Qualität einer Regierung ist nicht in Schönwetterperioden erkennbar, sondern erst in Zeiten der Krise, in denen sich - wie jetzt - die Probleme türmen. Doch das Agieren von Rot-Grün weckt größte Zweifel an der Kompetenz der Koalition. Kanzler Schröder hetzt von einer SPD-Regionalkonferenz zur nächsten, um seine Partei für die Reform-Agenda 2010 zu gewinnen. Die Seelenmassage zeigt Wirkung. Schröder bekommt dort mehr Beifall als Widerspruch. So war das auch gestern in Hamburg. Wenn Schröder sich durchsetzen sollte, wofür sehr viel spricht, wäre dennoch längst nicht alles in Butter. Denn was der Kanzler seiner Partei abzutrotzen und in der Koalition durchzupauken versucht, ist ein Minimalprogramm. Die Agenda 2010 mag die Symptome der Krise hier und da mildern. Um sie zu beheben, greift sie aber nicht weit genug. Bisher hat Rot-Grün sich häufig mit Placebo-Politik durchgemogelt und mit kühnen Versprechen die Bürger oft in falscher Sicherheit gewiegt. Was wurde nicht alles versprochen? Jahrhundertreformen, sinkende Arbeitslosigkeit, sinkende Sozialbeiträge. In Wirklichkeit aber rutscht Deutschland immer schneller auf abschüssiger Bahn. Die Regierung erweckt nicht den Eindruck, als folge ihr Handeln einem klaren Plan. Im Gegenteil. Es gibt in der Koalition wildes Durcheinandergequatsche. Fast täglich wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben, am nächsten Tag wieder eingefangen und 24 Stunden später wieder losgelassen. Das schürt Ängste und Verunsicherung. Kein Bürger und kein Betrieb weiß mehr, woran er ist. Alle warten ab. Auch deshalb kommt nichts recht vom Fleck. Es wird also Zeit, dass der Kanzler seiner ziellosen Politik Richtung gibt. Die Agenda 2010 taugt als Ausgangspunkt - für den Start. Auf dem Weg zum Ziel, der Bewältigung der Krise, wartet dann noch eine steinige Strecke. Fatale Botschaft einiger Lehrer Sven Kummereincke A m Dienstag waren es fünf Schulen, gestern dann zwei weitere, an denen Lehrer mit massenhaften Krankmeldungen den Schulbetrieb zum Zusammenbruch brachten. Wenn es den Pädagogen darum ging, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzeugen, so ist ihnen dies eindrucksvoll gelungen. Denn ihre Protestaktion war spektakulär - vor allem aber verantwortungslos. Lehrer haben wie kaum eine andere Berufsgruppe eine Vorbildfunktion. Doch welch fatale Botschaft vermittelt es den Schülern, wenn die Pädagogen aus Protest gegen eine Arbeitszeitreform blaumachen? Es darf niemanden wundern, wenn ganze Klassen auf die Idee kämen, sich wegen "plötzlicher Übelkeit" abzumelden - vielleicht aus Protest gegen ihrer Ansicht nach ungerechte Noten. Die protestierenden Beamten haben aber auch ihrer eigenen Sache einen Bärendienst erwiesen. Ihr ohnehin ramponierter Ruf wird weiter ruiniert - auf Kosten der großen Mehrheit der Lehrer, die sich der verantwortungslosen Protestaktion nicht angeschlossen haben. Und die GEW? Für die Gewerkschaft sind die Krankmeldungen Zeichen "der psychischen und physischen Überlastung". Diese Reaktion zeigt, wie weit sich die Verantwortlichen von der sozialen Wirklichkeit in diesem Land entfernt haben. Von der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen können Millionen Menschen ein vielstrophiges Lied singen. Der Frust vieler Lehrer hat seine Berechtigung - doch leider verlieren viele darüber jedes Maß. Unsere Autoren erreichen Sie unter : meinung@abendblatt.de