Am zweiten Prozesstag beruft sich Massenmörder Anders Behring Breivik auf Selbstverteidigung und lobt die Taten der Zwickauer Neonazizelle.

Oslo. Beinahe 75 Minuten lang darf Anders Behring Breivik sich äußern. Er schwadroniert über kulturelle Marxisten und indoktrinierte Journalisten und das angebliche Recht auf nationale Selbstverteidigung, da lässt nach seinem Vortrag eine einfache Frage die Blase platzen: "Wer hat Ihnen eigentlich das Recht auf Selbstverteidigung gegeben?" Es ist Staatsanwältin Inga Bejer Engh, die nach der Mittagspause versucht, die Luft aus Breiviks schwülstigen Thesen zu lassen. Breivik windet sich. "Wo haben Sie das Recht her, Norwegen zu verteidigen?", bohrt sie weiter - und dringt so gleich zur Kernfrage des Verfahrens vor: Was trieb Breivik zu seinem Amoklauf? Eine zum Wahn entwickelte Idee oder eine Art Auftrag, von wem auch immer?

Eine erste Antwort darauf fiel bereits am Morgen, als der Angeklagte eine vorbereitete Aussage verlas, die "den Rahmen der Verteidigung" setzen sollte. Erneut bezeichnet sich Breivik als "Repräsentant der norwegischen Widerstandsbewegung", der "ziemlich viele Norweger angehören" würden. Seine Tat sei "der spektakulärste politische Angriff eines Nationalisten seit dem Zweiten Weltkrieg", sagte Breivik, und er würde es wieder tun.

Der Angeklagte beklagt sich über das Bild, das die Medien über ihn zeichnen würden, sie beschrieben ihn als: "Verlierer, Psychopath, psychotisch, nicht integriert ins Arbeitsleben, ein Mamasöhnchen, das erst mit 32 Jahren ausgezogen ist und verrückt" sei. Das sei aber durchaus verständlich, die Journalisten wüssten es nämlich nicht besser: "Sie sind alle links orientiert und kulturell marxistisch indoktriniert", behauptet Breivik, das Verfahren sei "Propaganda, nahe an einer Komödie". Der Einzige, der ab und an lächelt, ist er selbst. Und dann folgt eine wirre Abfolge von Wiederholungen dieser Versatzstücke, immer wieder "kultureller Marxismus", und die Behauptung, Norwegen werde in einen "multikulturellen Staat transformiert".

+++ Leitartikel: Nicht zu ertragen +++

Und dann wabert dieses schreckliche Gefühl durch den Raum: dass Bano Rashid, Gunnar Linaker, Ismail Haji Ahmed und die anderen 73 Opfer in Oslo und auf Utøya sterben mussten, weil Breivik eine Bühne brauchte. Die "Phase der Propaganda" ist angebrochen, wie er es in seinem Manifest proklamiert hat. Und so fallen im Saal 250 Sätze wie "Es war eine kleine Barbarei, um eine große Barbarei zu stoppen." Bei der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der AUF, handele es sich um eine Art "Hitlerjugend", die Insel Utøya fungiere als "marxistisches Indoktrinierungslager". Da greift Richterin Wenche Arntzen ein: "Sie haben angekündigt, sich im Ton mäßigen zu wollen. Werden Sie das jetzt tun?", fragt sie und blickt über ihre Brille. Breivik verspricht es.

Sein geschlossenes Weltbild bringt der richterliche Einspruch nicht ins Wanken. Munter zitiert er John Stuart Mill oder den Indianerhäuptling Sitting Bull, mischt ein Zitat des amerikanischen Staatstheoretikers Thomas Jefferson in seine Argumentation, als stützten die die Legitimität seines "Widerstandskampfes". Gegen Ende seiner Aussage schält sich sein rechtsextremistisches Weltbild klar heraus. Er spricht vom "norwegischen Ur-Volk", das das Land "seit 12 000 Jahren besiedelt", und lobt die Taten der rechtsextremen deutschen Terrorzelle NSU, die Jagd auf Migranten machte und zwölf Menschen ermordete. "Heroisch" sei das gewesen, sagt Breivik.

Muss man das alles schreiben, senden, verbreiten? Adrian Pracon, 22, überlebte das Massaker auf Utøya, er gehört zu den Letzten, die Breivik verletzte. Ein Schuss ging durch seine Schulter. "Seine Einstellungen zur multikulturellen Gesellschaft sind extrem, aber mit Offenheit bekommt die Demokratie mehr Macht, um seine Ansichten besser zu bekämpfen", sagte Pracon zur Zeitung "Verdens Gang". Ist der Attentäter denn nun verrückt oder nur verblendet? "Er zeigt viele klassische Zeichen, die auf eine extremistische Ideologie hindeuten, wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben und auf ein sehr geringes Wissen schließen lassen", sagt Thomas Hylland Eriksen, Sozialforscher an der Universität Oslo.

Bücher habe er kaum gelesen, gibt Breivik an, das meiste habe er der englischen Ausgabe des Internet-Lexikons Wikipedia entnommen, weil die "so inhaltsreich ist". Mehr als 15 000 Stunden will er gelesen und gelernt haben. Als die Staatsanwältin nach Buchtiteln fragt, kann er aber nicht einen einzigen nennen. Und dann wird die Phase der Propaganda jäh unterbrochen, dann nimmt ihn die Staatsanwältin auseinander. "Wer hat den Auftrag gegeben?", fragt Engh. "Sie oder jemand anderes?" Breivik erzählt etwas von "Menschenrechten", die er wahrgenommen habe. Er ahnt die Falle, in die sie ihn locken will: Ein Auftrag, den "eine höhere Macht" erteilte, das klingt nach paranoidem Verfolgungswahn. Dass er sich selbst zum Retter der Nation und Herrn über Leben und Tod erkoren hat, ist allerdings auch schwer zu vermitteln - am Ende könnte dies bedeuten, dass er wegen seines Geisteszustandes für unzurechnungsfähig erklärt werden würde. Das möchte der Massenmörder unbedingt vermeiden.

Im Gespräch mit der Anklagevertreterin wirkt er gelöst, als führte er ein Fachgespräch unter seinesgleichen. "Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos haben Verantwortung übernommen", sagt er über die beiden mutmaßlichen Mörder von der NSU, die sich selbst getötet haben. Auf sich selbst will er den Begriff der Verantwortung auf Nachfrage Enghs aber nicht verstanden wissen. "Ich habe entschieden zu handeln, da spreche ich nicht von Verantwortung. Ich bin ein militanter Nationalist", so Breivik. Aber: "Ich weiß, dass es grausam war, dass ich unbeschreibliches Leid zugefügt habe", gibt er an.

Verblüfft fragt die Staatsanwältin, warum er sich denn nun entschieden habe, sich in Ton und Rhetorik zu mäßigen. Lag es am Respekt vor den Hinterbliebenen, wie sein Anwalt gestern verkündete, oder hatte es taktische Gründe? Die Antwort kommt sofort. "Wenn ich die Wahrheit sage, werde ich ja für verrückt erklärt."