Russlands Präsident bestreitet, in der Ukraine militärisch eingegriffen zu haben. Aber selbst in den eigenen Medien regt sich Widerstand gegen den ersten Auftritt Putins.

Moskau. Für Russlands Präsident Wladimir Putin ist die Sache nicht nur auf der Krim klar: In der Ukraine muss nach dem Dauerchaos Ordnung herrschen. Sanktionsdrohungen des Westens kontert er kühl. Damit würden beide Seiten Schaden nehmen. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der Krim-Krise betont der Kreml-Chef im Staatsfernsehen, er sehe derzeit keinen konkreten Anlass für eine Militäraktion in der Ukraine: „Was den Einsatz von Streitkräften angeht: Bisher gibt es eine solche Notwendigkeit nicht.“ Als hätten nicht Tausende russischer Soldaten die Kontrolle über die Krim längst übernommen.

Russlands Staatschef zeigt sich offen für den deutschen Vorschlag einer internationalen Kontaktgruppe. „Im Prinzip ist das möglich“, sagt Putin. Außenminister Sergej Lawrow sei dazu im Gespräch insbesondere mit seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier. „Wir haben Experten, die diese Frage mit dem deutschen Minister besprechen“, erklärt der Kreml-Chef in seiner Residenz in Nowo-Ogarjowo bei Moskau. Die Aufnahme des entmachteten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch in Russland nennt Putin einen „humanitären Akt“. „Ich denke, dass er dort getötet worden wäre“, sagte Putin. „Ich denke, er hat keine politische Zukunft mehr“, fährt er fort. Janukowitschs Entmachtung betrachtet Russland dessen ungeachtet als nicht legitim.

Russland bereite sich weiter auf die Ausrichtung des G8-Gipfels im Juni in Sotschi am Schwarzen Meer vor. „Wenn die anderen nicht anreisen wollen, müssen sie das nicht tun“, sagt Putin. Zuvor hatten die sieben führenden Industrienationen (G7) alle Vorbereitungstreffen für den G8-Gipfel in Russland ausgesetzt. Putin warnt vor den Folgen möglicher Sanktionen des Westens. „Man kann jemandem schaden, der Schaden wäre aber beiderseitig – darüber sollte man nachdenken.“

Trotz aller angedeuteten Gesprächsbereitschaft schließt Putin einen Militäreinsatz in der Ukraine für die Zukunft aber nicht kategorisch aus. Es gebe „diese Möglichkeit“, warnt er stattdessen. Der Präsident hat sich angesichts der Lage in der früheren Sowjetrepublik vom Föderationsrat bereits die Erlaubnis geben lassen, zum Schutz der russischen Minderheit einzumarschieren. Sollte es im Osten der Ukraine zu Unruhen kommen, werde Russland gegebenenfalls einschreiten. Putin wirft der US-Regierung vor, mit ihrer Unterstützung der Opposition „Chaos und Anarchie“ in der Ukraine verursacht zu haben. „Ich habe manchmal den Eindruck, dass hinter dem großen Teich eine Art Laborant in Amerika sitzt und Experimente macht, wie mit Ratten, ohne die Folgen seines Handelns zu begreifen“, sagt Putin.

Über den künftigen Status der Schwarzmeer-Halbinsel sollten die Bewohner der Autonomen Republik selbst entscheiden. „Nur die Bürger können und sollen über ihre Zukunft in einer freien und sicheren Willensentscheidung bestimmen“, sagt Putin. Derzeit sei kein Anschluss vorgesehen. Auf der Krim ist am 30. März ein Referendum geplant. Die prorussische Führung strebt einen Status als Staat an.

Moderatorin platzt im Staats-TV der Kragen

Putin ist es gewohnt, die Medien in seinem Land weitgehend zu kontrollieren – und wie am gestrigen Dienstag Pressekonferenzen vor ausgesuchten Journalisten kühl und ungestört zu absolvieren. Alles aber hat auch der Apparat des Präsidenten nicht im Griff. Abigail Suzanne „Abby“ Martin, Moderatorin des russischen Staatssenders Russia Today, konnte die mediale Gleichschaltung einfach nicht mehr ertragen. Zum Ende ihrer 30-minütigen Nachrichtensendung „Breaking the Set“ platzt es aus ihr heraus: „Was Russland in der Ukraine getan hat, ist falsch!“ Die 29-jährige gebürtige Kalifornierin pocht live in einem staatlich finanzierten russischen TV-Sender darauf, eine eigene Meinung zu haben und diese auch kundzutun.

„Ich kann gar nicht stark genug betonen, wie sehr ich jegliche Aggression gegen einen souveränen Staat ablehne“, sagt die für ihre mutigen und unkonventionellen Moderationen bekannte Amerikanerin. „Militärische Intervention ist nie eine Antwort. Ich werde hier nicht sitzen und eine militärische Aggression entschuldigen oder verteidigen“, so die sichtlich aufgebrachte Moderatorin. Sie beendet ihren etwas mehr als eine Minute dauernden Gefühlsausbruch mit einer Solidaritätsbekundung an das ukrainische Volk, das sich derzeit inmitten eines „globalen Schachspiels“ wiederfinde. Die Ukrainer seien die wahren Verlierer. Dazu gehören Mut und unabhängiges Denken.

Beides ist nicht besonders verbreitet in der russischen Medienlandschaft. Stattdessen hat russische Propaganda wieder Konjunktur. Offensichtlich sei es die Hauptaufgabe der offiziellen Medien, „in Zeiten der zwischenstaatlichen Konflikte die eigenen Bürger und die Welt von der Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung zu überzeugen und mögliche militärische Handlungen mit historischen, ethnografischen und anderen Gründen zu rechtfertigen“, schreibt das Leuchtfeuer des russischen Qualitätsjournalismus „Wedomosti“. Konstantin Sonin, der Prorektor der Moskauer Higher School of Economics, leitet einen „Wedomosti“-Gastbeitrag zu Putins Vorgehen mit dem Satz ein, den Napoleons Chefdiplomat Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord einmal geäußert haben soll: „Das war schlimmer als ein Verbrechen, das war ein Fehler.“

Gesprächspartner werden ausgeblendet

Die staatlichen TV-Gesellschaften geben in Russland angesichts der geringen Verbreitung von Printmedien den medialen Ton an. Die Einmischung Russlands wird gern damit erklärt, dass die russischen Bewohner der Krim und die dortige russische Schwarzmeerflotte von den ukrainischen Nationalisten bedroht seien. Von angeblichen Opfer ist die Rede, doch Beweise bleiben die Sender schuldig. Gesprächspartner werden auch schon mal mitten im Satz ausgeblendet, wenn sie von der offiziellen Linie abweichen. So erging es einem Abgeordneten der Krim bei „Rossija 24“, als er zu erklären versuchte, dass die eigentlich ruhige Lage von regionalen Machthabern angeheizt würde. Im Gleichschritt mit den anderen staatlichen Medien hat „Rossija 24“ seit Wochen die Demonstranten in Kiew pauschal als Provokateure und Faschisten vorzuführen versucht. In Reportagen bemühen sich die Sender zu belegen, dass russischsprachige Ukrainer massenhaft aus dem Land nach Russland flüchten.

So hat der staatliche „Erste Kanal“ in einer über das Internet stark verbreiteten Reportage über die Auswanderung aus der Ukraine von 140.000 Flüchtlingen in den vergangenen zwei Wochen berichtet, die Reportage aber seltsamerweise mit Bildern von einem ukrainisch-polnischen Grenzposten illustriert. Die Reaktion in den sozialen Netzwerken ist bunter und bietet gewissermaßen eine innerrussische Parallelwelt zu den staatlichen Verlautbarungen. Zwar finden sich auch im Netz ausreichend Anhänger einer russischen Militärintervention. In der Mittelschicht, deren kremlkritische Proteste seit eineinhalb Jahren systematisch unterbunden werden, herrscht zwar eine gewisse Skepsis gegenüber dem nationalistischen Lager unter den ukrainischen Aufständischen. Aber im Allgemeinen dominiert die Sympathie für den Sturz des Autokraten Janukowitsch und die Ablehnung einer russischen Einmischung.

Das ist aber nicht Putins Klientel. Er stützt sich auf Konservative und Reaktionäre, die er umgarnt und hinter sich sammelt. Zugute kommt ihm dabei, dass der populäre, aber wegen eines Skandals kürzlich angezählte alternative TV-Kanal „Doschd“ seine Reichweite von früher 17,4 Millionen auf nur noch 2,5 Millionen Haushalte verringerte.