Genügsam, dezent, hilfsbereit: Der neue Papst hat einen sehr guten Ruf. Aber wie stand er damals als Priester zur Diktatur in Argentinien?

Rom/Berlin. Eine Lebensgeschichte wie die des neuen Papstes Franziskus gibt es wohl nur in Argentinien. Da bringt es der Sohn eines italienischen Emigranten in diesem Schmelztiegel am Rio de la Plata nicht nur zum Erzbischof von Buenos Aires und späteren Kardinal, sondern dieser Jorge Mario Bergoglio wird auch noch Papst - und zwar der allererste aus Lateinamerika. 560 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte der 1,2 Milliarden Katholiken, leben auf dem Subkontinent. Dass der neue Papst nun aus Argentinien kommt, dem südeuropäischsten Land der Welt außerhalb des alten Kontinents, gibt dem Ganzen noch einen besonderen "italienischen Dreh". Denn der neue Papst Franziskus ist zwar eben Lateinamerikaner, aber durch die besonderen Wurzeln seiner Familie eben doch auch noch ein bisschen Italiener.

Wird er somit vielleicht zum idealen Vermittler zwischen der Alten und Neuen Welt? Steht Argentinien jetzt kopf? Ein bisschen schon. Viele "Portenos", die Bewohner der Millionenmetropole Buenos Aires, kramen in ihren Erinnerungen. Wohnte er nicht ganz bescheiden in einer kleinen Wohnung im zweiten Stock der Kurie hinter der Kathedrale an der Plaza de Mayo im Herzen des historischen Zentrums? Und ging er nicht gern zu Fuß durch die Innenstadt - ganz allein und ohne Bodyguards? Und besuchte er häufig nicht auch die Armenviertel, die "villas miserias"? Hier und da konnte man ihn in kleinen, volkstümlichen Lokalen sehen - nie aber in den vielen "feinen" Restaurants der Hauptstadt. Und ließ er sich nicht lieber mit dem schlichten "Monsignore" anreden statt mit dem pompösen Kardinalstitel "Eminenz"?

Geschichten wie diese werden in diesen Tagen in Argentinien besonders gern erzählt. Denn Bergoglios Bescheidenheit repräsentiert ein radikales Kontrastprogramm zur lauten Geschwätzigkeit der Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Sie regiert das Land seit 2008. Mit dem neuen Papst verbindet sie eine in vielen Jahren gewachsene Abneigung. Diese war noch ausgeprägter bei ihrem von 2003 bis 2008 regierenden Ehemann Néstor Kirchner. Er hatte zu kaum einer Persönlichkeit des Landes so schlechte Beziehungen wie zu Bergoglio. Das ging sogar so weit, dass Néstor Kirchner mit der alten Tradition brach, dass der Präsident am Nationalfeiertag, dem 25. Mai, traditionell dem Te Deum in der Kathedrale beiwohnt.

Für viele Argentinier, die den immer radikaler werdenden Populismus von Cristina Kirchner leid sind, repräsentiert Kardinal Bergoglio mit seiner ungespielten Bescheidenheit ein anderes, besseres Argentinien. Und schon am Tag nach der Entscheidung in Rom ziehen prominente Kirchner-Gegner mit dem neuen Papst in die Schlacht: Seine Wahl sei "das beste Zeichen, dass andere Zeiten in Argentinien anbrechen", frohlockte Elisa Carrió, eine der prominentesten Gegnerinnen von Frau Kirchner.

Allerdings gibt es auch viele Skeptiker, denen die klaren Worte des neuen Papstes gegen die Anpassung an einen liberalen Zeitgeist nicht passen, so etwa seine Einstellung gegen die erst in der argentinischen Hauptstadt, dann im ganzen Land seit einigen Jahren legalisierte Ehe zwischen Schwulen und Lesben. Für die einen unerschrocken, für die anderen uneinsichtig positionierte sich Bergoglio gegen das Adoptionsrecht schwuler Paare. Sergio Rubin, der unter dem Titel "El Jesuita" eine Biografie des Papstes veröffentlichte, definiert die Einordnung des neuen Papstes so: "Ist Bergoglio progressiv, steht er vielleicht der Befreiungskirche nahe? Nein, er ist kein Dritte-Welt-Priester. Kritisiert er den Neoliberalismus? Ja. Verbringt er einen großen Teil seiner Zeit mit den Armen in den Slums? Ja."

Unterdessen erfahren viele Argentinier in rund um die Uhr ausgestrahlten News-Programmen immer mehr Einzelheiten aus dem Leben "ihres" neuen Papstes. Sein Vater Mario Bergoglio war schon 24 Jahre alt, als er 1929 Bricco Marmorito di Portocromaro verließ, seinen kleinen Heimatort im Piemont. Die Eltern des jungen Mannes hatten dort einen Lebensmittelladen.

Aber die Zeiten waren schlecht. Im Jahre des Ausbruchs der großen Weltwirtschaftskrise, bestiegen sie alle in Genua das Schiff und wagten die Reise an den Rio de la Plata. Anfang der 30er-Jahre heiratete Mario ein Mädchen, das natürlich ebenfalls aus einer italienischen Familie stammte. Fünf Kinder wurden geboren. Das älteste war Jorge, dem man - wie in guten katholischen Familien weltweit üblich - den Zweitnamen Maria gab. Geboren wurde Jorge Maria am 17. Dezember 1936. Als Junge hatte er ein ausgeprägtes Interesse für Wissenschaft und Technik. Aber später setzte sich die Faszination für die Geisteswissenschaften durch. Im Alter von 22 Jahren trat er 1958 in den Jesuitenorden ein und studierte zunächst in Santiago de Chile. Später folgte ein Abschluss in Philosophie und Theologie.

1969 wurde Bergoglio zum Priester geweiht. Von 1973 bis 1983, in den schwierigen Jahren des Neoperonismus (1973 bis 1976) und den ersten der darauffolgenden dramatischen Zeit der Militärdiktatur (1976 bis 1983), leitete er als Provinzial den Jesuitenorden. Von 1980 bis 1986 war er Rektor der theologischen Fakultät von San Miguel.

Kritiker werfen dem neuen Papst vor, sich nicht genügend für einige vom Militärregime bedrohte Mitbrüder eingesetzt zu haben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel Berichte kategorisch dementierte, wonach Papst Franziskus während der Militärdiktatur mit den damaligen Machthabern paktiert habe. Wörtlich sagte der 81-Jährige dem spanischsprachigen Dienst der BBC: "Es gab Bischöfe, die Komplizen der Diktatur waren, aber Bergoglio nicht."

Im Mai 1976 waren die beiden ehemaligen Jesuitenpatres Orlando Yorio und Francisco Jalics von Militärs entführt und für mehrere Monate inhaftiert worden. Da die beiden zuvor wegen theologischer Differenzen von ihrem Provinzial Bergoglio aus dem Orden ausgeschlossen worden waren, warfen ihm drei Jahrzehnte später argentinische Publizisten vor, er habe die beiden schutzlos gelassen und damit den Militärs ausgeliefert. Bergoglio sagte 2010 in einem Interview, er habe sich während der Diktatur für mehrere bedrohte Seminaristen und Priester eingesetzt. Dabei habe er auch mit den Führern der Junta gesprochen, um sich für die Betroffenen einzusetzen.

Der neue Papst hat übrigens auch eine besondere Beziehung zu Deutschland. Der Jesuit lebte anlässlich eines Studienaufenthalts 1985 einige Monate in Frankfurt am Main. Dort studierte er an der Philosophisch-Theologischen Hochschule von Sankt Georgen, der Kaderschmiede des deutschen Jesuitenordens. Zurück in Argentinien ernannte Papst Johannes Paul II. im Jahre 1992 Bergoglio zum Weihbischof. Gerade der polnische Papst hatte übrigens immer eine besonders enge Beziehung zu Argentinien. Er hatte das Land 1982 zum ersten Mal besucht, als der Konflikt um die Falklandinseln auf dem Höhepunkt war. Die Argentinier haben den Papst damals dankbar und begeistert gefeiert und ihm dieses Bekenntnis zu Argentinien nie vergessen.