Die Erwartungen der Wohlstands-Katholiken an Papst Franziskus sind zu hoch

Der Papst ist gewählt - und zwar so schnell, dass sich hinter den schweigenden Mauern des Konklaves keine heftigen Lagerkämpfe abgespielt haben können. Der Jubel, der dem Überraschungskandidaten aus Argentinien noch am Abend seiner Wahl auf dem Petersplatz entgegenschallte, ist jedoch schnell verklungen. Der Alltag in der Kirche klingt weniger barmherzig.

Das liegt auch an den viel zu hohen Erwartungen an den Kirchenmann, der auch nur Mensch ist; an übersteigerten Forderungen vor allem aus jenen Ländern des westlichen Wohlstands, die sich mit christlichen Lebensprinzipien besonders schwer tun. Was soll der "oberste Brückenbauer" nicht alles liefern: Er soll die Ökumene, den Dialog mit den übrigen Gläubigen, mutig voranbringen; er soll das gestörte Verhältnis der Amtskirche zu den Frauen richten; möglichst Impulse für den Weltfrieden geben; gegen ungezügelten Kapitalismus kämpfen; die unübersichtliche und ineffektive römische Zentralkirche reformieren; den vielen Ortskirchen größere Spielräume lassen; innerkirchliche Missstände schonungslos aufdecken; und am besten "frischen Wind" in verstaubte Strukturen bringen, damit der Glaube wieder mehr von der Leuchtkraft bekommt, die Christenmenschen eigentlich lebensfroher und glücklicher machen sollte als jene Mitmenschen, die nur daran glauben können, dass sie sich mit dem Diesseits begnügen müssen.

Bei diesem übervollen Katalog der frommen Wünsche war es ein demütiges Signal, dass der Papst bei seinem ersten Auftritt vor den Menschen auf dem Petersplatz das Vaterunser betete. Ohne Beistand wird er nicht viel ausrichten können. Aber Gebete allein werden auch nicht helfen. Es müssen schon Taten folgen.

Und seine erste Tat, die Wahl des päpstlichen Namens - Franziskus - ist eine Art Programm, in doppelter Deutung: Einen Franziskus hat es auf dem Stuhl Petri in 2000 Jahren noch nicht gegeben; so hat sich der Jesuit aus Argentinien gerade nicht eines Vorbilds aus der Papst-Ahnenreihe bedient, sondern eines Heiligen, dessen Liebe zu den Menschen, dessen Zuwendung zu Natur und Tierwelt auch fast 900 Jahre nach seinem Leben vielen noch als Richtschnur gilt.

Der heilige Franz von Assisi starb, als er Mitte 40 war. Im Mittelalter war das ein ansehnliches Alter. Papst Franziskus ist 76. Die Hoffnung, der neue Pontifex werde deutlich jünger sein, um die Kirche nicht so alt aussehen zu lassen, haben sich leider nicht erfüllt. Aber Alter allein ist auch kein Kriterium. Viele Kardinäle sehen darin auch eine Vorsicht, weil der mächtige Mann an der Spitze der 1,2 Milliarden Katholiken so nur eine überschaubare Amtszeit vor sich hat und schon in absehbarer Zeit einen Wechsel möglich machen könnte. Auch wenn Benedikt XVI. mit seinem traditionsbrechenden Rücktritt allen klargemacht hat, dass auch das Papstamt nur ein Auftrag auf Zeit ist und damit eine Hintertür geöffnet hat, durch die auch Nachfolger gehen können.

Einen Erfolg hat der Argentinier und Ordensmann mit der Annahme seiner Wahl jedenfalls schon verbucht. Die Katholiken im bisher oft übersehenen Kontinent Südamerika dürfen sich ernst genommen und bestätigt fühlen. Rom ist nicht mehr nur das Herz Italiens, sondern ein wenig mehr der Nabel der Welt. Papst Franziskus hat diese gewichtige Botschaft humorvoll verpackt. Seine Kardinalsbrüder seien bei der Suche nach dem neuen Bischof von Rom "fast bis zum Ende der Welt" gegangen. Hoffentlich behält der Papst diesen Weitblick bei, wenn er in Zukunft neue Kardinäle ernennt und möglichst mehr auf deren Intellekt und Strahlkraft achtet als auf deren blinden Gehorsam gegenüber der römischen Zentrale.