Eine geheime Depesche des US-Außenministeriums soll das bestätigen. US-Regierung distanziert sich unterdessen von dem Bericht.

Homs. Syriens Präsident Baschar al-Assad am 23. Dezember in der Stadt Homs Giftgas gegen die Rebellen eingesetzt haben. Das berichten übereinstimmend mehrere Medien. Auslöser der Berichte war demnach eine Recherche des US-amerikanischen Online-Magazins Foreign Policy, die sich auf eine geheime Depesche des US-Außenministerium stützt. Das Magazin berichtet über die Verwendung des Nervengases „Agent 15“ (Nato-Kürzel BZ) durch Assads Truppen. Der chemische Kampfstoff soll kurz vor Weihnachten in der heftig umkämpften Stadt Homs gegen Rebellengruppen eingesetzt worden sein. Zumindest fünf Kämpfer sollen getötet, Dutzende schwer verletzt worden sein.

So soll sich der Bericht des Ministeriums auf Aussagen von Aktivisten, Ärzten und Deserteuren in Syrien stützen. Es habe sich dabei um die bislang umfassendsten Bemühungen der USA gehandelt, Angaben der syrischen Opposition nachzugehen. US-Diplomaten hätten die Expertise aufgrund von Zeugenaussagen geflüchteter Syrer in der Türkei zusammengestellt.

Konsul soll Kronzeuge für Chemiewaffen-Eisatz sein

Wie die Tageszeitung „Die Welt“ berichtet, habe der US-Konsul in Istanbul, Scott Frederic Kilner, die Depesche abgezeichnet und vergangene Woche ins US-Außenministerium geschickt. Die Chemiewaffen seien demzufolge am 23. Dezember in der besonders umkämpften syrischen Stadt Homs eingesetzt worden. Der Konsul und seine Mitarbeiter gaben offenbar Mustafa al-Sheikh als Kronzeugen für ihren Report an, einen hochrangigen Überläufer. Der ehemalige Generalmajor in Assads Armee gilt als Schlüsselfigur des syrischen Programms für Massenvernichtungswaffen.

Das amerikanische Magazin Foreign Policy berichtet außerdem, dass ein anonym bleibender Mitarbeiter aus dem Stab des US-Präsidenten Barack Obama die Angaben bestätigt hat. Das Magazin zitiert ihn mit den Worten: "Wir können es nicht zu 100 Prozent sagen, aber die Zeugenaussagen lassen es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass in Homs Agent 15 eingesetzt worden ist."

Der in einem Untergrundkrankenhaus in Homs praktizierenden Neurologen Nashwan Abu Abdo wird vom Nachrichtenmagazin „Spiegel“ mit den Worten zitiert: "Es war eine Chemiewaffe, da sind wir sicher. Denn Tränengas kann nicht fünf Leute töten." Das Gas sei mit Panzergranaten verschossen worden. Die Ärzte haben offenbar Proben genommen, können diese aber zur genauen Analyse nicht aus dem umkämpften Homs schmuggeln.

Agent 15 fällt unter die Chemiewaffen-Konventionen

Agent 15 ist ein Nervengas, das unter die internationale Chemiewaffen-Konvention fällt, die Syrien allerdings nicht ratifiziert hat. Menschen, die Agent 15 einatmen, leiden unter Halluzinationen, starker Übelkeit und Desorientierung. In Einzelfällen kann es zum Tod durch Ersticken führen. Ärzte aus Homs machten das mutmaßliche Giftgas fünf Tote und annähernd 100 Fälle von schweren Schädigungen der Atemwege, des Nervensystems und des Magen-Darm-Traktes bei Syrern verantwortlich, die mit dem Gas in Berührung gekommen waren.

Fachleutebefürchten, wo Agent 15 in den Depots lagert, könnten auch andere Chemiewaffen lagern, zum Beispiel Senfgas (Hautkontakt führt zu mit Flüssigkeit gefüllten Blasen und zu Verätzungen zweiten und dritten Grades mit Todesfolge bei starker Kontamination), Tabun (je nach Stärke der Vergiftung Kopfschmerzen, Übelkeit mit Erbrechen und Durchfälle, Krampfanfälle, Atemnot, Bewusstlosigkeit. Der Tod tritt durch Atemlähmung ein) oder VX (dringt über die Haut, die Augen und die Atemwege in den Körper ein und verursacht zuerst Husten und Übelkeit. Dann lähmt es die Atemmuskulatur und führt innerhalb weniger Minuten unter starken Krämpfen und Schmerzen zum Tod) zu finden.

US-Regierung distanziert sich vom Bericht des Ministeriums

Die US-Regierung hat sich mittlerweile von dem Bericht des Außenministeriums über einen Chemiewaffen-Einsatz distanziert. Es gebe keine Beweise dafür, dass die syrische Führung neue Maßnahmen zum Einsatz von Chemiewaffen ergriffen habe, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, Tommy Vietor.

Dieses Dementi könnte aber auch mit den Ankündigungen von Präsident Obama zu tun haben. Der hatte Assad wiederholt gewarnt: Sollte der Machthaber den "tragischen Fehler" begehen, chemische Waffen einzusetzen, werde er dafür zur Verantwortung gezogen. Ein solcher Einsatz überschreite eine "rote Linie" und würde die USA dazu veranlassen, tätig zu werden.

Sollte der Bericht von Foreign Policy also stimmen und sollte die US-Regierung dies bestätigen, müsste sich Obama an seinen eigenen Aussagen messen lassen. Das könnte dann eigentlich nur bedeuten, dass die US-Armee in den syrischen Bürgerkrieg eingreift.