Nach langer Reisepause tritt Putin Eindruck entgegen, er habe Schmerzen oder sei krank. Zeiten des sportlichen Machos scheinen aber vorbei.

Moskau. Die Frage nach dem Befinden von Kremlchef Wladimir Putin ist auch nach seiner zweimonatigen Reisepause das am heißesten diskutierte Thema in Moskau. Es sei offensichtlich, dass der 60-Jährige, der sich so gern als Macho und Extremsportler inszeniere, Probleme mit dem Rücken habe, heißt es in den Kommentaren. Und weil der Kreml eisern beteuert, dass der Präsident gesund sei, verlangt etwa die Boulevardzeitung „MK“ endlich Klartext. Die Menschen hätten ein Recht auf die Wahrheit über Russlands „Rückgrat Nummer eins“.

Gereizt reagiert Putins Sprecher Dmitri Peskow auf Berichte und Bilder, wonach Putin sich habe in Istanbul vom türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan in den Sessel helfen lassen. „Ich habe genug davon, das zu erklären. Ich sehe darin keinen Sinn mehr“, sagt Peskow der Staatsagentur Ria Nowosti. Über den Moment, in dem Erdogan Putin nach seiner Gesundheit fragt und dieser dem Türken empfiehlt, Sport zu treiben, berichten nur kremlkritische Medien.

Seit Wochen betont Peskow, dass Putin, der Judoka mit dem schwarzen Gürtel, oft wie ein Profi Sport treibe. Deutlicher, als dass Putin eine ältere Sportverletzung plagen könnte, wird er nicht. Unkommentiert lässt der Kreml auch Aussagen des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko, Putin habe eine gemeinsame Eishockey-Partie abgesagt – wegen der Folgen eines Judokampfes.

Die russische Zeitschrift „The New Times“ veröffentlicht in ihrer aktuellen Ausgabe ein Foto von Putin, wie er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einem Stuhl abstützt. Die Aufnahme stammt von einem Gipfel im September in Wladiwostok. Seither halten sich auch Gerüchte, der Tierschützer Putin habe sich bei einem Flug mit seltenen sibirischen Kranichen verletzt.

Spätestens aber, als Putin entgegen der Gepflogenheiten auch mit Kanzlerin Angela Merkel im November im Kreml nur im Sitzen zu sehen ist, sei offensichtlich gewesen, „dass er ein Korsett trägt“, schreibt das Magazin. Der Radiosender Echo Moskwy ätzt, dass den offiziellen Worten ohnehin niemand in Russland glaube. Tief sitzt das Misstrauen aus Sowjetzeiten, als das Politbüro etwa den Zustand von Kremlchef Leonid Breschnew wie ein Staatsgeheimnis hütete.

Und selbst nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ändert sich daran nichts. Die oft ungelenken Auftritte von Putins Amtsvorgänger Boris Jelzin in den 1990ern werden lange als Folgen von Medikamenten beschrieben – und nicht als Ursache eines Alkoholrausches.

„Solange WWP Präsident ist, gehört er nicht nur sich selbst“, tönt die Zeitung „MK“. Wenn Wladimir Wladimirowitsch Putin (WWP) Schwäche zeige, sei das Sache des ganzen Landes. Eben weil in Russland seit 13 Jahren autokratisch alle wichtigen Entscheidungen von einem Mann getroffen würden, treffe eine mögliche Krankheit des Präsidenten die Gesellschaft bis ins Mark, meinen Politologen.

„Seine Gesundheit ist natürlich ein politischer Faktor“, sagt die Elitenforscherin Olga Kryschtanowskaja. „Putin muss sein Image ändern. Er kann nicht ewig der munter-junge Bursche sein, der Hockey und Fußball spielt, Ski fährt und mit den Kranichen fliegt.“ Auch die Russen wollten ihn nun eher als „reifen und weisen Herrscher“, meint sie im Radiosender Echo Moskwy.

In den Regionen sei der Imagewandel des Präsidenten vom Macho zum „weisen Patriarchen“ auf Kreml-Initiative bereits im Gange, berichtet die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“. Auch der neue Kampf gegen die Korruption bis in den Machtapparat gehöre zu dieser Kampagne, um die „Marke Putin“ zu erneuern. Demnach sehen Experten die Chance, dass der Präsident nicht nur als erfahrener Schiedsrichter über den um Macht ringenden liberalen und konservativen Lagern steht, sondern als „ruhiger Weiser“ in die Präsidentenwahl 2018 geht.