Der afghanische Präsident hat zwei Gesichter. Hamid Karsai hat es mit Absprachen und raffinierten Schachzügen geschafft, wichtige Persönlichkeiten und Gruppierungen hinter sich zu bringen. Seine Bilanz ist ansonsten ernüchternd.

Kabul/Hamburg. Präsident Hamid Karsai (52) will es noch einmal wissen. Afghanistans Staatschef tritt bei den Wahlen am 20. August erneut an, und vieles deutet darauf hin, dass er wieder erfolgreich sein könnte. Trotz der zunehmenden Gewalt, trotz der Machtlosigkeit gegen die aufständischen Taliban und trotz der grassierenden Korruption – Karsai gilt bei der Wahl als aussichtsreichster der 41 Kandidaten für das höchste Staatsamt.

Mit zahlreichen Absprachen und raffinierten Manövern gelang es Karsai offenbar, trotz seiner eher mageren Bilanz wichtige Persönlichkeiten und Gruppierungen hinter sich zu bringen. So stieß er mit der Ernennung des umstrittenen ehemaligen Kriegsfürsten Mohammed Kasim Fahim als Kandidat für einen der Stellvertreterposten die internationale Staatengemeinschaft vor den Kopf. Die Uno äußerte sich „bestürzt“ über die Nominierung. Die Ernennung könnte dem Paschtunen Karsai aber wichtige Stimmen der Minderheit der Tadschiken sichern, der Fahim angehört.

Auch Anführer der Usbeken und der schiitischen Hasara-Minderheit sicherten Karsai ihre Unterstützung zu. Den anderen Kandidaten gelingt es dagegen nicht, stabile Bündnisse zu bilden, die nötig sind, um den Amtsinhaber bei der Wahl zu bezwingen. Mitbewerbern geht das Treiben Karsais zu weit. Unlängst behauptete Aschraf Ghani, der als einer der aussichtsreichsten Herausforderer gilt, der Präsident bemühe sich um geheime Absprachen mit erfolgversprechenden Kontrahenten. So habe Karsai ihm einen hohen Regierungsposten angeboten, falls er seine Kandidatur zurückziehe.

Als Karsai im Oktober 2001 aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehrte, fand er ein nach Krieg und jahrelanger Schreckensherrschaft der Taliban am Boden liegendes Land vor. Als Hoffnungsträger des Westens wurde er nach dem Sturz der Taliban im Dezember 2001 zum Interimspräsidenten bestimmt und im Juni 2002 durch eine traditionelle afghanische Große Ratsversammlung im Amt bestätigt. Bei den ersten Präsidentschaftswahlen in der Geschichte des Landes 2004 errang Karsai 55,4 Prozent der Stimmen, sein schärfster Konkurrent kam nur auf 16 Prozent.

Inzwischen ist die Zustimmung für Karsai in der afghanischen Bevölkerung merklich zurückgegangen. Laut einer im Februar veröffentlichten Umfrage ausländischer Fernsehsender sprachen zwar noch 52 Prozent der Befragten Karsai ihr Vertrauen aus, im Jahr 2005 waren es aber noch 83 Prozent gewesen. Die Zustimmung für seine Regierung sank im gleichen Zeitraum von 80 auf 49 Prozent. Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisierte die Berichterstattung in den afghanischen Medien vor der Präsidentschaftswahl als unausgewogen. „Viele Fernseh- und Hörfunkstationen haben in ihren Programmen ausgewählte Kandidaten bevorzugt. Vor allem das staatliche Fernsehen und die meisten staatlichen Hörfunkprogramme enthalten den Wählern unabhängige Informationen vor: Sie unterstützen eine Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Hamid Karsai“, kritisierte die Journalistenorganisation.

Die beispiellose Welle der Gewalt in Afghanistan dürfte dazu ihren Teil beigetragen haben. Allein im vergangenen Jahr starben etwa 2200 Zivilisten beim blutigen Aufstand der Taliban. Karsai stellt sich als Anführer dar, der wegen seiner Erfahrung für eine weitere Amtszeit geeignet ist, gesteht aber auch Fehler ein: „Wie in der Vergangenheit auch werden wir Fehler machen. Aber unser Ziel ist es, der afghanischen Nation zu dienen.“ Bei Wahlkampfveranstaltungen verspricht er die Rückkehr zu Frieden und Stabilität, vor kurzem kündigte er eine Verdopplung der Zahl der Sicherheitskräfte an.

Der am 24. Dezember 1957 geborene Karsai studierte in Indien Politikwissenschaft, nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan schloss er sich dem Kampf der Mudschahedin gegen die Besatzer an. Nach dem Fall der pro-sowjetischen Regierung 1992 wurde er Vize-Außenminister Afghanistans. Als dann 1996 die Taliban Kabul eroberten, wurde Karsai der Posten des afghanischen Uno-Botschafters angetragen. Er schlug das Angebot aus: Die Taliban seien „ausländische Terroristen“ und Marionetten des pakistanischen Geheimdienstes.

Endgültig verschrieb sich Karsai dem Kampf gegen die Miliz, als 1999 vermutlich Taliban seinen Vater ermordeten. Karsai selbst hat mindestens vier Attentate überlebt, das letzte im April. Er ist mit einer afghanischen Ärztin verheiratet und hat einen Sohn.