Die Bundeswehr beklagt nach einem Taliban-Angriff den Tod von drei Soldaten in Afghanistan. Von “Wiederaufbau“ ist längst nicht mehr die Rede. Trotzdem scheut sich die Politik, drei Monate vor der Bundestagswahl das Wort “Krieg“ auszusprechen.

Hamburg/Berlin. Es ist die Wortwahl des Wohlfühlens, eine verbale Kuschelecke: Da ist von Wiederaufbauteams die Rede, von Stabilisierungskräften und viel von Unterstützung und Sicherheit. Wenn man nicht genau wüsste, dass es um Afghanistan geht, könnte man aus dieser Diktion schließen, die Bundeswehr bemühe sich um ein baufälliges Altenheim.

35 deutsche Soldaten sind bislang am Hindukusch ums Leben gekommen, fast die Hälfte von ihnen durch direkte Feindeinwirkung. Doch die Bundesregierung entwindet sich einer Festlegung auf den Begriff "Krieg". So sagte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bei einer spontanen Pressekonferenz auf dem Rollfeld des Hamburger Flughafens: "Wir sind es unseren Kameraden schuldig, den Stabilisierungseinsatz in Afghanistan fortzusetzen und die Täter zu ergreifen." Jung bestand darauf, die deutsche Mission am Hindukusch habe nicht nur militärische, sondern vor allem soziale Ziele.

Viele sehen das anders. Der ehemalige Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Bernhard Gertz, knurrte vor einem Jahr trotzig in die Fernsehkameras: "Wir befinden uns im Krieg gegen einen zu allem entschlossenen Gegner." Zuvor hatte schon der frühere Bundesverteidigungsminister Volker Rühe in der "Süddeutschen Zeitung" in dieselbe Kerbe gehauen: "Es herrscht der Eindruck, wir leisten dort bewaffnete Entwicklungshilfe. Tatsächlich sind wir im Krieg gegen aufständische Taliban, und unsere Soldaten sind Kämpfer in diesem Krieg."

Und der Wehrbeauftragte des deutschen Bundestages, Reinhold Robbe, hat kürzlich betroffen wiedergegeben, was ihm deutsche Soldaten am Hindukusch gesagt hatten: "Wir bauen hier im Moment keine Brücken und bohren keine Brunnen - wir befinden uns im Krieg." Seit einigen Wochen werde zurückgeschossen.

Afghanistan ist geradezu ein Synonym für Krieg: Das Land hat die Armeen vieler Großreiche zermürbt und geschlagen - Perser, Araber, Russen und Briten. Afghanistan hat eine strategisch bedeutsame Lage, und es ist zugleich ein militärstrategischer Albtraum. Fast doppelt so groß wie Deutschland, besteht es fast nur aus Gebirge, das bis fast 7500 Meter ansteigt, bewohnt von radikalislamischen Stämmen, die sich untereinander fast ebenso erbittert bekämpfen wie die diversen Invasoren. Es herrscht eine archaische Kriegerkultur, in der Nachgeben Schwäche ist und die allgegenwärtige Waffe die Ehre des Mannes symbolisiert.

Der Krieg gegen die Sowjets ab 1979 und der Bürgerkrieg ab 1992 forderten zwei Millionen Tote; wie viele Menschen seit Beginn des Einsatzes von USA und Nato seit 2001 gefallen sind, weiß niemand, es können Zehntausende sein.

Und die Bundeswehr ist mittendrin - seit 2002. "Uneingeschränkte Solidarität" hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September zugesagt, deren Drahtzieher in Afghanistan vermutet wurden.

Bis zu 4500 Soldaten kann die Bundeswehr per Bundestagsmandat am Hindukusch einsetzen, 3500 sind es derzeit im Rahmen der "Internationalen Stabilisierungstruppe" Isaf. Und bis zu 100 Soldaten des Elitekommandos KSK dürfen zudem den Kampf der Amerikaner gegen Terroristen unterstützen.

Die Taliban, 2001 in einem kurzen Feldzug der US-Truppen von der Macht in Kabul vertrieben, sind seit Längerem wieder in der Offensive. US-Präsident Barack Obama hat die äußerst ehrgeizige "AfPak"-Strategie ausgerufen, die die pakistanischen Aufmarschräume der Taliban mit erfassen soll.

Und inzwischen sind auch die eigentlich beliebten Deutschen am Hindukusch zunehmend ins Visier geraten. Konnte sich die Bundeswehr zu Beginn des Mandats im Norden noch aufs Brunnenbohren konzentrieren - zum Unmut der im explosiveren Süden kämpfenden Alliierten -, sehen sich deutschen Soldaten immer häufiger Feuerüberfällen ausgesetzt.

Fast unbemerkt von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung hat die Bundeswehr ihren Einsatz erheblich intensiviert. Die von den Deutschen gestellte "Schnelle Eingreiftruppe" kann nun neben neuen gepanzerten Transportern der Typen "Dingo" und "Fuchs" auch vier schwere Schützenpanzer "Marder" einsetzen. Indessen werden die Forderungen nach Einsatz schwerer Artillerie und auch des Kampfhubschraubers "Tiger" immer lauter. Die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff forderte gar, den neuen Kampfjet "Eurofighter" an den Hindukusch zu schicken. Gerade erst wurde bei der Nato beschlossen, Awacs-Aufklärungsmaschinen zu entsenden, die auch den Einsatz von Bombern und Bodenkampfflugzeugen leiten könnten. 300 weitere Bundeswehrsoldaten sind dabei.

Es ist eine stille Eskalation, die sich da vollzieht, und die erheblichen politischen Zündstoff in sich birgt. Wie wird die deutsche Bevölkerung, die ohnehin mit deutlicher Mehrheit gegen das militärische Engagement in Afghanistan eingestellt ist, auf den zunehmenden Blutzoll reagieren? Die Politik möchte ein Vierteljahr vor der Bundestagswahl den Begriff "Krieg" nach Leibeskräften vermeiden. Eine Partei, die deutsche Väter, Ehemänner und Söhne in einen veritablen Kriegseinsatz schicken will, könnte im Wahlkampf böse auf Grund laufen. Zudem hat das "K-Wort" in Deutschland eine Konnotation, die sich natürlich vor allem am Zweiten Weltkrieg orientiert, in dem deutsche Soldaten die furchtbaren Angreifer waren.

Gefallene als Wahlkampfmunition? Entsetzt weisen Politiker dies von sich. So sagte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Peter Ramsauer zum Abendblatt: "Alle Parteien wären gut beraten, Afghanistan nicht zu einem strittigen Wahlkampfthema zu machen. Was die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor allen Dingen brauchen, ist der einhellige Rückhalt der Politik. Parteiengezänk auf dem Rücken derjenigen, die für uns im Einsatz sind, halte ich für sehr schädlich. Wir wollen in Afghanistan weder Krieg führen noch das Land militärisch besetzen."

Doch Gregor Gysi, Vorsitzender der Linken, ergriff die Gelegenheit beim Schopf, um wieder einmal medien-wirksam einen Abzug aus Afghanistan zu fordern: "Es ist nicht länger zu verantworten, das Leben von Afghanen und das Leben der Soldaten aufs Spiel zu setzen."

Der innenpolitische Kampf um Afghanistan ist eröffnet.