Die afghanische Regierung wird der Korruption bezichtigt. Ihre Bilanz ist ernüchternd. Aber noch stützt der Westen den Präsidenten.

Hamburg. Das für seine Amtswürde eher uncharmante Etikett "Bürgermeister von Kabul" wird Hamid Karsai wohl so schnell nicht loswerden. Als die Bonner Afghanistan-Konferenz Ende 2001 den Paschtunen zum Präsidenten einer Übergangsregierung bestimmte, die das zerrissene Afghanistan nach der Vertreibung der radikalislamischen Taliban führen sollte, übernahm er den "härtesten Job der Welt", wie das US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" damals meinte. Acht Jahre und vier Attentatsversuche später ist Karsai immer noch im Amt - aber seine Macht reicht kaum über Kabul hinaus, und sein Land ist von Frieden und Wohlstand weiter entfernt denn je. Am 20. August tritt der Staatschef bei neuen Präsidentschaftswahlen an - und es sieht danach aus, als würde er wiedergewählt. Obwohl auch viele der Paschtunen von ihm enttäuscht sind.

Afghanistan ist seit 30 Jahren umkämpft und wird es weiter sein. Ein klarer Sieg der militärischen Koalition aus 42 Staaten ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil - die 2001 von den US-Truppen vertriebenen Taliban sind auf dem Vormarsch. Nach jeder Großoffensive der militärisch weit überlegenen westlichen Truppen kehren sie zurück und festigen ihre Macht weiter.

Eine höchst gefährliche Sisyphos-Arbeit auch für die Bundeswehr im Norden. Entsprechend unbeliebt ist der Einsatz im deutschen Volk - und entsprechend ungehalten kommentierte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) die erstaunlich ehrliche Aussage des neuen amerikanischen Kommandeurs der Isaf-Truppe in Afghanistan, General Stanley McCrystal, der im "Wall Street Journal" zugab, die Taliban hätten die Oberhand gewonnen: "Diese Einschätzung teile ich nicht." Dabei hatte auch der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, gerade in der "Bild"-Zeitung gesagt, dass die Taliban "überall auf dem Vormarsch" seien. Einen großen Anteil daran hat die Strategie der Amerikaner, vermeintliche oder tatsächliche Taliban-Nester mittels Bombern oder Kampfdrohnen auszuräuchern, wobei oft Zivilisten sterben.

Die Wahlen in rund 6500 Wahllokalen, an denen sich rund 17 Millionen der insgesamt 28 Millionen Afghanen ungeachtet wüster Drohungen der Taliban beteiligen wollen, müssen von den 100 000 westlichen Soldaten und 200 000 afghanischen Truppen scharf abgesichert werden.

36 Kandidaten treten an, darunter zwei voraussichtlich völlig chancenlose Frauen.

Für den Uno-Sonderbeauftragten Kai Eide ist es die "komplexeste und herausforderndste Wahl, die ich je erlebt habe".

"Die Taliban sind stärker als je zuvor, und wir haben mehr Terroristen als 2001. Die Sicherheitslage war damals viel besser. Für mich ist die militärische Strategie des Westens gescheitert", sagt Dr. Yahya Wardak unumwunden. Der Afghane, der zehn Jahre lang in Hamburg lebte und am Tropeninstitut arbeitete, ist Leiter des Bonner Afghanistan Information Centers, das Daten und Informationen zu diesem Land sammelt und zur Verfügung stellt. Eine bessere Strategie wäre, die Kampfhandlungen sofort einzustellen und Friedensverhandlungen aufzunehmen, sagt Wardak. "Denn es kämpfen gegen die Nato inzwischen nicht nur die Taliban, sondern eine Vielzahl von anderen afghanischen Gruppen. Das gesparte Geld sollte man zum zivilen Aufbau eines afghanischen Rechtsstaates verwenden. "Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt, vor allem auf dem Land leidet die Bevölkerung. Sie sieht nichts von den westlichen Milliarden und ist enttäuscht."

Durch die Wahl am 20. August werde sich für die Afghanen "leider nicht viel ändern", fürchtet Wardak. Denn es werde höchstwahrscheinlich nicht zu einem Machtwechsel kommen - da die internationale Gemeinschaft, vor allem die Amerikaner, wieder auf Karsai gesetzt hätten. "Dabei betrachtet die Bevölkerung die Regierung Karsai als eine der korruptesten und unfähigsten in der gesamten Geschichte Afghanistans", betont Yahya Wardak.

Überdies seien in Karsais Kabinett Warlords, die sich schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hätten. Die Amerikaner hätten sich schon vor Jahren auf politische und personelle Alternativen einstellen sollen. Der Wissenschaftler befürchtet: "Nach einer Wiederwahl Karsais wird die Lage Afghanistans noch viel schwieriger werden."