Das libysche Volk feiert die Befreiung von Gaddafi. Das islamische Recht der Scharia soll Grundlage aller Gesetze werden.

Tripolis/Kairo. Der libysche Übergangsrat hat die Befreiung des nordafrikanischen Landes von jahrzehntelanger autoritärer Herrschaft erklärt. Im neuen Leben werde das islamische Recht Scharia die Grundlage aller Gesetze sein, kündigte das Gremium an.

Feierstimmung in Libyen: Drei Tage nach dem Tod von Muammar al-Gaddafi blickt Libyen in die Zukunft. Zehntausende Menschen versammelten sich am Sonntag zu einem Festakt in Bengasi. Der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, erklärte die vollständige Befreiung seines Landes verkünden.

Auf dem Festplatz in Bengasi, wo der Aufstand gegen Gaddafi vor acht Monaten begonnen hatte, schwenkten begeisterte Menschen Fahnen. Viele tanzten auf den Straßen, wie auf Fernsehbildern zu erkennen war.

Nun soll binnen 30 Tagen eine provisorische Regierung gebildet werden. Diese solle dann bis Juni 2012 Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung vorbereiten, kündigte Dschalil an. Dieses Gremium soll eine Verfassung ausarbeiten, auf deren Grundlage innerhalb eines Jahres ein Parlament und ein Präsident gewählt werden.

Noch vor den Feiern wurde der Streit um die Leiche des Ex-Diktators vorerst beigelegt. Die Leichen Gaddafis und seines Sohnes Mutassim sollen nun an Angehörige übergeben werden, statt wie ursprünglich geplant an einem unbekannten Ort vergraben zu werden.

Der Chef der libyschen Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, sagte in einem BBC-Interview, er hätte den Ex-Diktator lieber lebend gefasst und vor Gericht gebracht. „Ich will wissen, warum er dem libyschen Volk das angetan hat. Ich wünschte, ich wäre sein Ankläger in seinem Prozess“, sagte Dschibril. Er begrüße eine gründliche Untersuchung der Vorfälle um Gaddafis Tod durch die Vereinten Nationen.

Auch US-Außenministerin Hillary Clinton unterstützt die Forderung nach einer Untersuchung der genauen Todesumstände. In einem Interview mit dem Fernsehsender NBC sagte Clinton am Sonntag, diese Aufklärung sei Teil des Übergangs von einer Diktatur zu einer Demokratie. Sie rief auch zur Versöhnung auf: „Jeder, der Teil des alten Regimes war und an dessen Händen kein Blut haftet, sollte sicher und in ein neues Libyen miteinbezogen sein.“

Ein enger Mitarbeiter Gaddafis schilderte in Interviews, wie der einstige Machthaber seine letzte Tage verbrachte. Er habe viel im Koran gelesen und Nudeln gegessen, die seine Helfer aus verlassenen Häusern herbeigeschafft hatten. Zudem habe er sich beschwert, dass es in der zerschossenen Stadt Sirte keinen Strom gab. Der einstige Machthaber habe nie verstanden, warum sich die Libyer gegen ihn erhoben hätten, sagte Mansur Dhao Ibrahim der „New York Times“.

Gaddafi war diesen Angaben zufolge bis zuletzt bewaffnet gewesen, habe aber nie einen Schuss abgefeuert. Kontakt zur Außenwelt habe er zum Schluss nur über sein Satellitentelefon gehabt, mit dem er TV- oder Radiosender anrief. Immer wieder habe Gaddafi in der verwüsteten Stadt, in der er häufig die Häuser wechselte, geklagt: „Warum gibt es keinen Strom? Warum gibt es kein Wasser?“

In einem anderen Interview habe Mansur Dhao Ibrahim geschildert, wie die letzten Getreuen am Donnerstag versucht hätten, die Stadt in einem Konvoi zu verlassen. Gaddafi habe in einem Toyota Land Cruiser gesessen und während der Fahrt wenig gesagt. Nach etwa einer halben Stunde hätten Nato-Kampfflugzeuge den Konvoi ausgemacht und beschossen, schildert der Gaddafi-Vertraute die Ereignisse. Er selbst sei getroffen und verwundet worden, der Gaddafi-Vertraute. Zusammen mit dem Ex-Herrscher habe er zunächst versucht, eine Farm zu erreichen, dann eine größere Straße und schließlich die Abwasserrohre, in denen Gaddafi später gefunden wurde. Er selbst sei erneut getroffen worden und ohnmächtig geworden. Erst im Krankenhaus sei er wieder aufgewacht.

Gaddafi-Sohn beschimpft neue Machthaber und Nato

Der letzte noch in Libyen untergetauchte Sohn von Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi will den Kampf fortsetzen. In einer kurzen Audiobotschaft beschimpfte Gaddafis Lieblingssohn Saif al-Islam außerdem die Nato, die zum Sturz des Regimes beigetragen hatte. „Geht zur Hölle Ihr Ratten und Nato“, zitierte der arabische Nachrichtensender Al-Arabija am Sonntag den Gaddafi-Sohn. Auch dessen Vater hatte die früheren Oppositionstruppen und heutigen neuen Machthaber in Libyen regelmäßig als Ratten verunglimpft.

„Das ist unser Land, wo wir leben und sterben. Wir werden den Widerstand fortsetzen“, sagte der 39-Jährige. Die Audio-Botschaft sei live und sehr kurz gewesen, berichtete Al-Arabija. Offensichtlich habe Saif al-Islam Angst gehabt, dass sein Satellitentelefon den Aufenthaltsort verraten könnte, wie das bei seinem Vater geschehen sein soll.

Die Übergangsregierung in Libyen hatte am Donnerstag noch mitgeteilt, sie habe auch Saif al-Islam gefasst. Dies stellte sich später als falsch heraus. Seitdem blühen Spekulationen über den Aufenthaltsort und Gesundheitszustand des Gaddafi-Sohnes. Gerüchten zufolge soll Gaddafis zweitältester Sohn am Fuß verletzt sein. Nach anderen Berichten soll er Rückverletzungen erlitten oder sogar einen Arm verloren haben. Zwischendrin hieß es sogar, er sei tot. (dpa)