Selbst im Weißen Haus scheint man verblüfft gewesen zu sein über die Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama. Stundenlang hüllte man sich nach der Bekanntgabe der Entscheidung des Nobelpreis-Komitees in Washington in Schweigen. Eine Zeit lang kursierte nur eine E-Mail von Pressesprecher Robert Gibbs an den Fernsehsender CBS. Darin stand nur ein Wort: "Wow". Später sagte Gibbs, er habe den Präsidenten mit der freudigen Nachricht morgens geweckt. Dem Vorsitzenden des Nobelpreiskomitees war es peinlich, dass man den US-Präsidenten solcherart überrumpelt hatte. "Den Präsidenten mitten in der Nacht aufzuwecken, gehört sich nicht", sagte Thorbjörn Jagland. Barack Obama jedenfalls habe die Nachricht "mit Demut" entgegengenommen, so Gibbs.

Für Demut gibt es wahrlich guten Grund. Als die Nominierungsliste für den Friedensnobelpreis am 1. Februar geschlossen wurde, war Barack Obama zwei Wochen im Amt. Als das Nobelpreiskomitee sich dann für den US-Präsidenten entschied, waren es gerade einmal neun Monate. Noch nie ist ein Staatsmann nach solch kurzer Amtszeit und mit so wenig vorweisbaren Ergebnissen der Friedensnobelpreis zuerkannt worden.

Deshalb verspürte der Vorsitzende Jagland auch einigen Rechtfertigungsdruck, als er vor die Presse trat. Auf die Frage, ob das nicht eine "gewagte Entscheidung" sei, meinte Jagland: "Wenn man die Geschichte des Nobelpreises anschaut, dann haben wir bei vielen Gelegenheiten versucht, das zu stärken und zu fördern, was bestimmte Persönlichkeiten gerade durchzuführen versuchten." Als Beispiele nannte Jagland etwa die 1971 geehrte Ostpolitik von Willy Brandt, die begonnen habe, was Jahre später in Europa geschehen sei. Oder die Auszeichnung von 1990 für Michail Gorbatschow. Beide waren auf ihrem Weg zur Zeit der Verleihung aber schon weiter fortgeschritten als Obama, dessen Außenpolitik etwa in Afghanistan, gegenüber Nordkorea und auch Iran noch eher einer Suchbewegung als einem klaren Kurs gleicht.

Der Friedensnobelpreis macht Barack Obama nun endgültig zum einsamen Superstar der internationalen Politik. Das Preiskomitee ist ja oft ein Gradmesser für politische Korrektheit auf dem alten Kontinent gewesen. So sehr auf dem Zeitgeist gesurft wie in diesem Jahr sind die Preisrichter aber selten. Sie schreiben die Obamania, die Europa nach dem Wahlsieg des ersten schwarzen Präsidenten ergriffen hatte, nahtlos fort und überhöhen Obama nach wenigen Monaten Amtszeit zur globalen Lichtgestalt.

In der Begründung heißt es, "Barack Obama erhält den Friedensnobelpreis für seinen außergewöhnlichen Einsatz zur Stärkung der internationalen Diplomatie und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern." Letztlich ist es eine Anerkennung für den Stimmungsumschwung, den Obama in den internationalen Beziehungen bewirkt hat. Das fällt in eine Zeit, in der gerade in den USA erste Kritik laut wird mit dem Vorwurf, Obama habe mit seiner globalen Charmeoffensive bisher wenig erreicht. Die Früchte seines neuen Politikansatzes stehen noch aus, wenn Obama sie denn überhaupt je wird ernten können.

Das Komitee prämiert also eher eine Haltung als die bisher mageren Resultate seiner Außenpolitik. Hier wird nicht der wirkliche US-Präsident belohnt, dem manche populäre Versprechungen inzwischen weit mehr Kopfschmerzen bereiten als gedacht - siehe die Schließung des Gefangenenlagers auf Guantánamo, die verschoben werden musste. Prämiert wird vielmehr die Idee vom multilateralen Obama, die man sich in Europa von ihm gemacht hat. Und das sagt mehr über den alten Kontinent aus als über die reale politische Figur, der dieser Preis nun zuerkannt wird.

Man darf das ganze aber durchaus auch als zweiten Anti-Bush-Preis verstehen, den Oslo in wenigen Jahren vergibt. Mit Bill Clintons ehemaligen Vizepräsident Al Gore wurde die öffentliche Figur Amerikas prämiert, die in der Klimapolitik den stärksten Gegenpol zu Bush darstellte. Nun wird die größtmögliche Distanz zur Bush'schen Außenpolitik gesucht. Daraus kann man ersehen, wie groß der Leidensdruck in manchen Teilen Europas war in der Ära Bush. Und wie groß nun offenbar das Bedürfnis, ein anderes, ein "gutes Amerika" zu identifizieren.

Dafür war man in Oslo auch bereit, dem US-Präsidenten einen Wechsel auf die Zukunft auszustellen, den er nun einlösen muss. Denn tatsächlich ist er ja zum Beispiel bei der vom Komitee herausgehobenen Abrüstungsfrage noch nicht sonderlich weit gekommen, wie überhaupt bezweifelt werden muss, ob eine gänzliche Nuklearabrüstung der USA den Globus wirklich stabiler machen würde. Schließlich ist eine Reihe ernst zu nehmender Außen- und Sicherheitsexperten der Meinung, dass ein Verzicht der führenden globalen Ordnungsmacht auf Nuklearwaffen konventionelle militärische Konflikte etwa an den Rändern des amerikanischen Einflussbereiches wahrscheinlicher machen würde. Die vom Komitee (und auch von Stiftungsgründer Alfred Nobel selbst) genährte Vorstellung, Abrüstung würde die Welt schon per se friedlicher machen, ist genauso naiv wie die Hoffnung, eine Ausschöpfung des diplomatischen Potenzials Amerikas sei allein schon dazu angetan, brennende Weltprobleme wie die iranische oder nordkoreanische Bombe oder die Stabilisierung Afghanistans zu lösen.

Beim iranischen Atomdossier etwa musste die Obama-Administration nach mehreren vergeblichen Werbeversuchen erst lernen, dass Wohlfühl-Diplomatie allein wenig bringt. Und so betont der US-Präsident inzwischen wie sein Vorgänger, dass die militärische Option nicht vom Tisch ist und breitet auch das Arsenal der wirtschaftlichen Folterinstrumente aus, um die Mullahs zum Einlenken zu bewegen.

Denn erfolgreiche Weltpolitik besteht letztlich aus einem klugen Mix von diplomatischen Instrumenten und Druckmitteln, die einem Land oder der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Eine magische Mischung, mit deren Zubereitung Obamas Zauberlehrlinge noch immer experimentieren.

Es ist auch kein Zufall, dass Obama die Auszeichnung zu einem Zeitpunkt erhält, an dem er innenpolitisch erheblichen Gegenwind erfährt und in seiner Heimat so etwas wie eine erste Entzauberung eingesetzt hat. Manche wollen in dem Schöngeist und Schönredner schon den Zauderer entdeckt haben. Ein Label, das einem anderen US-Präsidenten der demokratischen Partei anhaftet - nämlich Jimmy Carter, dem vorgeworfen wird, den Sieg der Revolution im Iran durch Untätigkeit befördert zu haben, und der nach nur einer Amtszeit abgewählt wurde. Carter erhielt den Friedensnobelpreis im Jahr 2002.

Der Hinweis des Vorsitzenden Jagland, man habe schon öfter versucht, Persönlichkeiten auf ihrem Weg zu stärken, ist ein deutlicher Hinweis, dass man diesen amerikanischen Gegenwind auch in Oslo wahrgenommen hat. Die entscheidende Frage für das Obama-Lager wird also sein, ob der Preis den Präsidenten wirklich zu stärken vermag. Denn einerseits sind die Amerikaner natürlich stolz darauf, dass ihr historischer Präsident solch eine Auszeichnung erhält. Und viele haben sich nach den Bush-Jahren gewünscht, dass Obama das Image ihres Landes in der Welt verbessert. Andererseits sind die Amerikaner Pragmatiker und wollen Resultate. Hier rückt die gutmenschlichwolkige Intention des Nobelpreises erneut in den Fokus, was manche Amerikaner schon länger über ihren Präsidenten denken: Dass er letztlich mehr zu Europa passt als zu Amerika. Dass er vor allem aus schönen Worten besteht, aber am Ende nicht liefern kann, besonders bei den schwierigen Problemen.

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Eckart von Klaeden sprach deshalb auch von einer "Bürde", die der Preis für Obama bedeute. Denn wer so hochgelobt wird wie dieser US-Präsident kann gar nicht anders, als die enormen Erwartungen zu enttäuschen.