Das einstige Vorzeige-Land rutscht nach der manipulierten Präsidentschaftswahl ins Chaos ab.

LONDON / NAIROBI. Die Bilder erinnern an grausame Bluttaten, wie sie in Ländern der Nachbarschaft verübt wurden - in Burundi, Kongo, Uganda, Somalia oder Ruanda. Doch Kenia galt immer als nettes Strand- und Safari-Land. Jetzt hat die Gewalt auch Kenia eingeholt. Der Westen blickt erschreckt auf das Land, in dem 30 Menschen in einer Kirche verbrannten - ermordet allein deshalb, weil sie als Kikuyu dem Volk des Präsidenten Mwai Kibaki angehörten, dem die Opposition unter Raila Odinga vom Volk der Luo Wahlfälschung vorwirft.

"Dies ist das allererste Mal, dass eine Gruppe der Bevölkerung bei uns eine Kirche angegriffen hat. Eine derartige ungezügelte Brutalität hätten wir hier niemals erwartet", sagte Kenias Polizeisprecher Eric Kirathi.

Seit Beginn der Unruhen vor fünf Tagen wurden nach Angaben von Bürgerrechtlern mehr als 300 Menschen getötet. Die Regierung warf der Opposition zuletzt einen geplanten Völkermord an den Kikuyu vor. Der Polizei zufolge sind landesweit 75 000 Menschen auf der Flucht.

Warnsignale für eine sich vertiefende gesellschaftliche Krise hatten sich sei Jahren gehäuft. Der kenianische Journalist John Githongo hatte seine Stimme schon zu Zeiten des Kibaki-Vorgängers Daniel arap Moi gegen die maßlose Bereicherung einer kleinen Schicht "fetter Katzen" in Kenia auf Kosten der bettelarmen übergroßen Mehrheit erhoben. Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt heute unterhalb der Armutsgrenze - mehr als 40 Jahre nach der Unabhängigkeit.

Anfangs hatte Kibaki sich mit Männern wie Githongo geschmückt: Er machte ihn zum Chef einer neuen Antikorruptionsbehörde. Drei Jahre später floh Githongo, der wie Kibaki dem Kikuyu-Volk angehört, vor seiner eigenen Regierung nach London. Er brachte Unterlagen mit, die das Ausmaß der korrupten Machenschaften auch unter Kibaki enthüllten.

Githongo hoffte, dass die sogenannten Geberländer die Notbremse ziehen, der Regierung in Nairobi den Geldhahn zudrehen und ultimativ eine Austrocknung des Korruptionssumpfes sowie mehr soziale Gerechtigkeit verlangen würden. Doch Politiker im Westen begnügten sich mit starken Worten und symbolischen Gesten.

Kenias Herrscher hätten es stets verstanden, sich unter Hinweis auf radikalislamische Gefahren in Somalia und anderen Ländern der Region als "Verbündete im Krieg gegen den Terrorismus" anzudienen, schrieb der britische Afrikakenner Michael Holman gestern in der Londoner "Financial Times". Der Westen habe Kenia als vermeintliche "Insel der Stabilität" gesehen.

Auch Deutschland unterstützt Kenia nach Angaben eines Sprechers des Entwicklungsministeriums jährlich mit 24 Millionen Euro. Das Geld werde für Projekte in den Bereichen Wasserversorgung, Gesundheit und Landwirtschaft eingesetzt und komme direkt der Bevölkerung zugute, sagte ein Sprecher. Deshalb sei es auch falsch, die Hilfe jetzt einzustellen.

Die Bundesregierung rät trotz der Unruhen nicht grundsätzlich von Reisen in das Land ab. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte gestern lediglich, wer eine Individualreise plane, solle über eine Verschiebung nachdenken. Zurzeit hielten sich mehrere Tausend deutsche Touristen in Kenia auf. Es sei ratsam, Massenansammlungen zu meiden und in Städten wie Nairobi und Mombasa das Hotel nicht zu verlassen. Dem Deutschen Reiseverband (DRV) zufolge machen derzeit rund 4000 Deutsche Urlaub in Kenia. Die meisten davon hielten sich in der Küstenregion auf, die von den Unruhen nicht betroffen sei, sagte Sprecher Torsten Schäfer. Einzelne Reiseveranstalter hätten Ausflüge nach Nairobi abgesagt.

Filmberichte zur umstrittenen Wahl und den Unruhen in Kenia