HAMBURG. Die Zeit der Sonntagsreden ist vorbei. Es gilt zu handeln. Der Hamburger Klimaexperte Prof. Hartmut Graßl, der fünf Jahre lang Direktor des Weltklimaforschungsprogramms in Genf war, fordert erstens: "Für alle Neubauten muss sofort Passivhausstandard zur Norm werden." Dieser Standard sollte auch für die Renovierung von Altbauten gelten, "wobei der Staat dies durch direkte Förderung oder Steuervergünstigungen unterstützen muss". Die zweite Forderung: Der Kraftstoffverbrauch einer Fahrzeugflotte muss in den kommenden fünf Jahren auf vier Liter pro 100 Kilometer gesenkt werden, "auch, um die deutsche Automobilindustrie wieder an die vorderste Front zu bringen. Über freiwillige Regelungen reden wir seit 20 Jahren, wir brauchen staatliche Vorgaben, unter denen sich die Marktwirtschaft entfalten kann", so Graßl. Er wirbt für emissionsfreie Autos. Zum Dritten müssten die Menschen akzeptieren, "dass die Stromversorgung im 21. Jahrhundert voll auf erneuerbare Energie umgestellt werden kann. Das ist technisch und physikalisch machbar."

Auf europäischer Ebene sollte die Bundeskanzlerin die deutsche EU-Präsidentschaft nutzen, um eine Strategie zu entwickeln, wie die USA und China in den Klimaprozess eingebunden werden können. Und europaweit müssten Null-Emissionsautos eingeführt werden. Kein Verständnis hat Graßl dafür, dass deutsche Automobilhersteller gegen die strikten Umweltauflagen des kalifornischen Gouverneurs Arnold Schwarzenegger klagen.

Auf internationaler Ebene muss die Uno die Führung in Sachen Klimaschutz übernehmen, fordert Klima-Experte Graßl, um bis 2009 ein Nachfolgeprotokoll für das 1997 verabschiedete Kyoto-Protokoll zu entwickeln. Dieser Entwurf müsste die Schwellenländer integrieren, den Industrieländern ehrgeizigere Klimaschutzziele abverlangen, und "es muss garantieren, dass Technologietransfer nicht durch Patente verhindert wird", unterstreicht Graßl eindringlich.

Für den G-8-Gipfel, der vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm stattfindet, hat Graßl einen konkreten Vorschlag: "Bundeskanzlerin Angela Merkel soll im Rahmen ihrer Präsidentschaft folgenden Beschluss fassen lassen: ,Jeder Mensch hat das gleiche Recht, Emissionen freizusetzen.' Dann müssen sich alle bewegen, um das Ziel zu erreichen, den Anstieg der globalen Temperatur auf zwei Grad Celsius zu begrenzen."

Die globalen und lokalen Veränderungen, die dieser Anstieg auslösen wird, erscheinen den Wissenschaftlern bislang als beherrschbar. "Dafür müssen wir bis 2070 die Emissionen von Treibhausgasen um 50 Prozent gegenüber heute senken. Das kann global gerecht geschehen, wenn wir den genannten Beschluss wirklich fassen und umsetzen würden." (Angela Grosse)