Israel vor der Wahl: Die meisten kleinen Parteien werden an der Zwei-Prozent-Hürde scheitern. Niedrige Beteiligung erwartet.

Tel Aviv. Die 5 278 985 israelischen Wahlberechtigten, die heute an 9263 Wahlurnen ihre Stimme abgegeben dürfen, hatten noch nie eine so große Auswahl wie bei diesen Wahlen zur 18. Knesset (Parlament) seit der Staatsgründung 1948. Nicht weniger als 33 Parteien kämpfen bis zur letzten Minute um die Gunst der Wähler. Wer schon immer die Macht der Banken beschränken wollte, kann seine Stimme der Partei "Koach HaKesef" (Die Kraft des Geldes) geben. Gleich drei "grüne" Fraktionen bemühen sich um den Einzug ins Parlament. Selbst eine Partei, die sich für die Rechte der angeblich grausam benachteiligten geschiedenen Familienväter einsetzt, steht zur Wahl. Am bizarrsten aber ist wohl der Zusammenschluss von Holocaust-Überlebenden und den Fürsprechern der Legalisierung von Marihuana zur Liste "Holocaust-Überlebende und erwachsen gewordene Partei 'Grünes Blatt'".

Die meisten dieser Kleinstparteien werden wohl an der Zwei-Prozent-Hürde scheitern. Die Vielfalt ist aber nicht Ausdruck einer blühenden demokratischen Kultur, sondern zeugt vielmehr von Ernüchterung und einem Misstrauen den etablierten Politikern gegenüber. Auch die Tatsache, dass kaum eine Regierung es bis an das Ende der Legislaturperiode schafft, ist nicht dazu angehalten, das Vertrauen ins System zu stärken.

So finden offiziell alle vier Jahre Parlamentswahlen statt. Doch allein in den vergangenen zehn Jahren mussten die Israelis fünfmal an die Wahlurnen. Kein Wunder also, dass die Wahlbeteiligung seit Jahren abnimmt. Bei den ersten Wahlen 1949 gaben noch 86,9 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. 2001 waren es nur noch 62 Prozent, und es spricht einiges dafür, dass die Zahl in diesem Jahr noch niedriger ausfallen könnte. Das vorhergesagte schlechte Wetter könnte zusätzlich dazu beitragen.

Das Grundgesetz "Die Knesset" von 1958 legt fest, dass das Parlament in "allgemeinen, nationalen, direkten, gleichen, geheimen und proportionalen" Wahlen gewählt wird. Mit der Proportionalität nehmen die Israelis es genau: Eine Partei, die 18 Prozent der Stimmen auf sich vereint, bekommt dafür genau 18 Prozent der 120 Mandate. Aufgrund der überschaubaren Größe des Landes kennt Israel keine Wahlkreise. Jede Partei stellt meist durch interne Vorwahlen eine Liste mit bis zu 120 Kandidaten auf - für den theoretischen Fall, dass sie alle Mandate erringen sollte. Direktmandate gibt es in Israel nicht.

Eine weitere Eigenheit des israelischen Wahlrechts ist, dass es die Möglichkeit der Briefwahl nur für im Ausland tätige israelische Diplomaten und auf israelischen Schiffen stationierte Soldaten gibt. Da jeder Jude sofort die israelische Staatsangehörigkeit annehmen kann und damit auch wahlberechtigt ist, soll so eine übermäßige Einflussnahme von im Ausland lebenden Juden verhindert werden.

Da das israelische Wahlgesetz die Veröffentlichung aktueller Umfragen in den Tagen vor der Wahl verbietet, gibt es keine Anhaltspunkte für eine mögliche Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse in letzter Minute. Die letzte Umfrage sah den Vorsprung von Benjamin Netanjahus Likud-Block langsam dahinschmelzen, Außenministerin Zipi Livnis Kadima-Partei lag mit rund 25 Mandaten nur noch knapp hinter ihrem Konkurrenten. Verteidigungsminister Ehud Barak steuerte mit seiner Arbeitspartei auf das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte zu.

Als größte Überraschung aber gelten die rund 20 Mandate, die die Demoskopen Avigdor Liebermans rechter Partei "Israel Beiteinu" vorhersagten. Lieberman, der einen aggressiven Wahlkampf gegen die arabischen Staatsbürger führte, könnte zum Zünglein an der Waage zur Koalitionsbildung werden. Als ehemaliger Bürochef von Netanjahu scheint Lieberman der ideale Koalitionspartner für den Likud zu sein. Doch hat sich der unberechenbare Parteichef bisher mit Koalitionsaussagen zurückgehalten.

Nach der Wahl sind deshalb durchaus Überraschungen möglich. So war es zwar bisher üblich, dass die Partei mit den meisten Mandaten auch den Ministerpräsidenten stellt. Doch ist das keineswegs eine bindende Regelung. Nach der Wahl sprechen die Vorsitzenden aller Parteien gegenüber dem Präsidenten ihre Empfehlung aus, wem sie die besten Chancen zur Regierungsbildung einräumen. Daraufhin wird Präsident Schimon Peres einen Abgeordneten mit der Regierungsbildung beauftragen.