Ein Wahlsieger Netanjahu habe größere Chancenauf Fortschritte, meint Historiker Michael Wolffsohn.

Hamburg/Jerusalem. Erfahrungen im Ausmanövrieren des Gegners besitzt sie eigentlich reichlich: Israels Außenministerin Zipi Livni ist nicht nur Politikerin, sondern auch Rechtsanwältin, war Armee-Offizier und Agentin des Auslandsgeheimdienstes Mossad.

Doch am hartleibigen Widerstand der ultraorthodoxen Schas-Partei zerschellten Livnis Hoffnungen, eine tragfähige Koalitionsregierung bilden zu können.

Gestern gab Livni, in der Nachfolge des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Ehud Olmert erst seit einem Monat Chefin der regierenden Kadima-Partei, auf: "Ich bin nicht bereit, Erpressungen nachzugeben", sagte die 50-Jährige zornig. Sie informierte Staatspräsident Shimon Peres über ihren Fehlschlag und verlangte Neuwahlen, "die ich gewinnen will". Zwei Punkte waren es vor allem, an denen die Verhandlungen scheiterten, wie Rabbi Ovadja Joseph, das spirituelle Oberhaupt von Schas, mitteilte. Zum einen wollte Schas auf gar keinen Fall, dass über den Status von Jerusalem - dessen Osthälfte die Palästinenser als Hauptstadt beanspruchen - verhandelt wird. Zum anderen fordert Schas, die eher die israelische Unterschicht repräsentiert, umgerechnet mehr als 200 Millionen Euro Kindergeld für arme Familien. Für Livni war jedoch bei 120 Millionen Schluss.

Livnis Kadima-Partei allein stellt 29, mit der verbündeten Arbeitspartei zusammen gerade einmal 48 der 120 Sitze in der Knesset. Mit der Rentnerpartei käme sie auf 55, und erst mit den 12 Abgeordneten der Schas könnte sie regieren. Dabei ist diese Gruppierung nicht unproblematisch: So hat Rabbi Joseph schon mal geäußert, der Holocaust sei als göttliche Bestrafung der europäischen Juden für das Abfallen vom orthodoxen Glauben zu betrachten.

Nach Livnis Scheitern stehen Israel nun wohl Neuwahlen ins Haus. Erwartet wird dabei ein Durchmarsch des konservativen Likud-Blocks von Benjamin Netanjahu. Der schillernde, von Skandalen umwehte Professorensohn, von 1996-99 schon einmal Ministerpräsident, gilt als Falke, als erbitterter Gegner eines unabhängigen Palästinenserstaates. Durch "Bibis" Wahl, so sorgen sich viele, könne der Friedensprozess endgültig ins Grab sinken.

Der Münchner Historiker und Politologe Michael Wolffsohn, Professor an der Universität der Bundeswehr, teilt diese Befürchtung nicht. "Zunächst einmal gibt es gar keinen Friedensprozess, das ist eine nette Legende", sagte der in Tel Aviv geborene Wolffsohn dem Abendblatt, "es gibt nur die Vokabel. Ein Friedensprozess wäre auf beiden Seiten auch gar nicht durchsetzbar." Aber wenn es denn zu "so etwas wie einem Friedensprozess" kommen würde, dann könnte "nur Benjamin Netanjahu ihn verkaufen". Man denke an die Hardliner Henry Kissinger in den USA oder auch Menachem Begin, die Entspannungsprozesse eingeleitet hätten. "Netanjahu wäre auch nicht meine Wahl", räumt Wolffsohn ein, "aber mangels Alternative wäre er die bessere Lösung. Mit Sicherheit würde Netanjahu mehr erreichen als Ehud Olmert - Minimalisten können eben keine maximalen Kompromisse verkaufen. Die historischen Beispiele sprechen alle dafür, dass es gerade die Hardliner sind, die am Ende Kompromisse verkaufen. Es gibt nur eine einzige Ausnahme - die Ostpolitik von Willy Brandt und Walter Scheel."

Hardliner seien eben Pragmatiker, sagt Wolffsohn, "Netanjahu ist ja keiner, der mit dem Messer zwischen den Zähnen herumläuft und fragt, wo ist der nächste Palästinenser, den ich killen kann." Das entscheidende Hindernis liege jedoch bei den Palästinensern: "Solange die Palästinenser kein staatliches Gewaltmonopol haben, kann man keinen Frieden schließen."