Sie reagierte kühl auf die Kohl-Kritik an der Außenpolitik und Euro-Rettung. Ein Experte spricht von den Schicksalstagen der Kanzlerin Merkel.

München/Berlin. Dieser Konflikt wird jetzt mit offenem Visier ausgetragen. Und er könnte mit politischen Überraschungen enden, die noch gar nicht absehbar sind. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die scharfe Kritik ihres Vorvorgängers und einstigen Ziehvaters Helmut Kohl (beide CDU) zurückhaltend, aber inhaltlich klar zurückgewiesen. „Die Verdienste Helmut Kohls als Kanzler der deutschen Einheit und der europäischen Einigung sind nicht hoch genug einzuschätzen“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“. Die amtierende CDU-Chefin fügte aber hinzu: „Jede Zeit hat ihre spezifischen Herausforderungen. Die christlich-liberale Bundesregierung arbeitet daran, die Herausforderungen unserer Zeit zusammen mit unseren Partnern in Europa und der Welt entschlossen zu meistern.“

Das saß. Merkel meinte damit sinngemäß: Kohl habe seine Verdienste, doch heute hat er nichts mehr zu sagen. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte sich im ZDF ähnlich geäußert und gesagt, von einem außenpolitischen Kurswechsel könne keine Rede sein. „Für uns ist nicht nur entscheidend, dass wir alte Partnerschaften pflegen, Freundschaften vertiefen, sondern in der Welt des 21. Jahrhunderts ist es auch notwendig, die neuen Kraftzentren der Welt ernst zu nehmen und neue strategische Partnerschaften aufzubauen“, sagte er.

„Das ist kein Kurswechsel, das ist auch nicht das Vergessen unseres Kurses oder unseres Kompasses, sondern das ist die schlichte Erkenntnis einer neuen Zeit.“ Derzeit werde eine „neue Weltarchitektur“ geschmiedet mit erfolgreichen Ländern in Asien, Lateinamerika, Afrika oder an anderer Stelle, sagte Westerwelle. „Wir müssen als ein Exportland, als ein Land, das von der internationalen Vernetzung lebt, auch zu diesen neuen Kraftzentren strategische Partnerschaften schmieden. Das hat nichts damit zu tun, dass wir nicht unsere Bündnispartner kennen würden.“ Kohl war von 1982 bis 1998 Bundeskanzler.

Auch die Kritik Kohls an der deutschen Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat zum Libyen-Einsatz der Nato wies der Außenminister zurück. Deutschland habe mit seiner Sanktionspolitik politische Maßnahmen präferiert, die nicht zu unterschätzen seien. Zugleich bekräftigte Westerwelle, dass er die Kritik Kohls an der Aufweichung des europäischen Stabilitätspaktes ausdrücklich unterstütze.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe widersprach Kohls Thesen ebenfalls. „Die von Helmut Kohl genannten Grundprinzipien deutscher Außenpolitik – wie die transatlantische Partnerschaft, die Einigung Europas und die deutsch-französische Freundschaft – bestimmen auch heute das Handeln der Regierung von Angela Merkel“, sagte er der „Welt“.

Ohne die Kanzlerin direkt zu nennen, hatte Kohl in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Zeitschrift „Internationale Politik“ beklagt, der Regierung fehle der politische Kompass. Indirekt warf er Merkel auch vor, keinen Führungs- und Gestaltungswillen zu haben. Der 81-Jährige kritisierte neben der deutschen Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat zum Libyen-Einsatz der Nato auch die Verschlechterung in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die Abschaffung der Wehrpflicht nannte er einen Fehler.

Seiner direkten Nachfolgerregierung, der rot-grünen Koalition unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder, hielt er Fehler bei der Aufnahme Griechenlands in die Eurozone vor. Trotzdem mahnte er nun dringend zur Solidarität mit Griechenland und zur Rettung des Euro.

Die Kritik von Bundespräsident Christian Wulff am Euro-Rettungskurs der EZB wird nach Einschätzung des Parteienforschers Gerd Langguth der Bundeskanzlerin Merkel eher nutzen als schaden. Wulff habe vor allem den Aufkauf von Schrottpapieren durch die Europäische Zentralbank für falsch erklärt, betonte Langguth in der „Passauer Neuen Presse“. „Beim Euro lässt Wulff präsidialen Dampf ab. Das kann die Kanzlerin als an den Gipfel-Verhandlungen Beteiligte so nicht“, sagte Langguth, der Professor an der Universität Bonn ist.

Wulff hatte am Mittwoch bei einer Konferenz von Wirtschafts-Nobelpreisträgern in Lindau Politiker und Währungshüter für ihren Kurs in der globalen Schuldenkrise scharf kritisiert. Der Europäischen Zentralbank (EZB) hielt Wulff dabei vor, der massive Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten sei politisch und rechtlich bedenklich.

Langguth geht davon aus, dass es bei der Bundestags-Entscheidung über die jüngsten Euro-Rettungspläne am 23. September „am Ende für die Kanzlermehrheit reichen wird“. Nicht jeder Kritiker werde gegen die Euro-Hilfen stimmen. Alles andere würde den Bestand der Koalition gefährden, erklärte der Parteienexperte und schlussfolgerte: „Wird die Kanzlermehrheit nicht erreicht, müsste Angela Merkel zurücktreten.“ (dpa/abendblatt.de)