Zehn Euro zusätzlich? Die Arbeitnehmer werden stärker belastet. Die Krankenkassen kritisieren das Pflege-Konzept der Bundesregierung.

Berlin. Die Nettoeinkommen der Deutschen dürften weiter sinken. Unionsfraktions-Vize Johannes Singhammer hat erstmals die Kosten für die Pflegereform beziffert. „Ich erwarte eine Steigerung der Pflegebeiträge um 0,3 bis zu 0,5 Beitragspunkte“, sagte der CSU-Politiker der „Welt“. Die Erhöhung solle von Arbeitnehmern und Arbeitgebern jeweils zur Hälfte getragen werden. Das steht allerdings im Gegensatz zum Pflegekonzept von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Er will mehr private Vorsorge in der Pflegeversicherung.

Singhammer sagte, CDU und CSU seien sich einig darin, dass es bessere Leistungen der Versicherung und vor allem eine bessere Entlohnung der Pflegekräfte „für ihren aufopferungsvollen Dienst“ nicht zum Nulltarif geben könne. Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung liegt derzeit bei 1,95 Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens, Kinderlose zahlen 2,2 Prozent. Diesen Beitrag teilen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Nach einem Bericht von „Spiegel Online“ könnte die Erhöhung sogar noch stärker ausfallen: Demnach plant die Regierung eine Beitragsanhebung um 0,6 Prozentpunkte. Es gebe Signale aus dem Kanzleramt, dass „eine Steigerung dieser Größenordnung zumutbar sei“, berichtete „Spiegel Online“ unter Berufung auf Unionskreise. Ab wann die Versicherten tiefer in die Tasche greifen müssten, stehe aber noch nicht fest. Erst zum Jahreswechsel hatte Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung von 14,9 auf 15,5 Prozent erhöht. Wer 3000 Euro im Monat verdient, müsste also knapp zehn Euro mehr pro Monat für die Pflegeversicherung aufwenden. Es bleibt also immer weniger Netto vom Brutto.

Das Bundesgesundheitsministerium bezeichnete Singhammers Äußerungen als Einzelmeinung. Es gebe noch keine konkreten Pläne für die Finanzierung der Pflegereform. „Weder in der Koalition noch in der Bundesregierung gibt es dazu Festlegungen“, teilte ein Sprecher mit. Ähnlich äußerte sich der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn. „Es wird teurer, aber wir dürfen auch nicht überziehen. Die richtige Balance ist entscheidend“, sagte Spahn zu Reuters. Eine Steigerung des Beitrags um fast ein Drittel bezeichnete Spahn als „Humbug und reine Spekulation“.

Singhammer stellte gleichzeitig eine Beitragssenkung in der gesetzlichen Krankenversicherung in Aussicht, womit die Belastung bei der Pflege zumindest zum Teil kompensiert werden könnte. Möglich sei diese Senkung durch „die überraschend guten Einnahmen des Gesundheitsfonds“, sagte er der Zeitung. Erst kürzlich hatte das Bundesgesundheitsministerium Zahlen veröffentlicht, wonach die Reserve im Gesundheitsfonds um eine Milliarde Euro mehr gefüllt ist als gesetzlich vorgeschrieben. Damit ließe sich der Kassenbeitrag um 0,1 Punkte senken.

Die Pläne der schwarz-gelben Koalition zur Reform der Pflegeversicherung treffen auf Widerstand der Krankenkassen. Die geplante kapitalgedeckte Zusatzversicherung von Minister Philipp Rösler sei sozial unausgewogen und verlagere das Risiko einseitig auf den Versicherten, kritisierte die Krankenkasse DAK. Stattdessen solle das bisherige System beibehalten werden, bei dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber einzahlen und sich der Beitrag nach der Höhe des Gehalts bemisst. Eine „eventuelle Anpassung des Beitragssatzes“ zur Finanzierung des Pflegebedarfs einer alternden Bevölkerung dürfe kein Tabu sein.

Die Kasse erinnerte daran, dass die Bundesregierung schon 1995 einen Beitragssatz von 2,4 Prozent des Bruttolohns für 2030 vorhergesagt habe. Derzeit liegt der Beitragssatz bei 1,95 Prozent (2,2 Prozent für Kinderlose). Nach heutigen Prognosen der Regierung wird ohne Reform ein Anstieg bis auf 2,8 Prozent im Jahr 2050 angenommen – allerdings ohne die jetzt erwogenen Verbesserungen bei den Leistungen der Versicherung. Aus Koalitionskreisen hieß es, die Kritik der DAK sei nicht nachvollziehbar, da die Beratungen zur Finanzierung noch gar nicht begonnen hätten.

Die Pflegevorsorge wird für die Bundesbürger in Zukunft nach Einschätzung des Gesundheitsökonomen Boris Augurzky erheblich teurer werden. Um die steigenden Kosten im Pflegebereich aufzubringen, müsste sich der Beitrag der Pflegeversicherung von derzeit 1,7 auf 3,5 Prozent des Bruttoeinkommens bis zum Jahr 2040 verdoppeln, sagte der Forscher vom Essener Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung am Dienstag in Nürnberg. Nach Einschätzung Augurzkys wird die Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen von heute durchschnittlich 50 Prozent für die Pflege steigen. Der Ökonom hält deshalb eine private Pflicht-Zusatzversicherung mit einer Beitragshöhe von etwa zwölf Euro monatlich für sinnvoll.

Angesichts der steigenden Zahl von Altersverwirrten in Deutschland fordert die Deutsche Hospiz Stiftung einen Demenzplan 2020. Bis zum Jahr 2060 werde die Zahl der Demenzkranken von heute 1,2 Millionen auf bis 2,5 Millionen steigen, sagte Vorstand Eugen Brysch der Nachrichtenagentur dpa. Die Angehörigen seien bereits heute oft am Ende ihrer Kräfte. Pflegekräfte seien kaum noch zu motivieren, sich der Aufgabe zu stellen. Deshalb müssten nun konkrete Verbesserungen für die kommenden Jahre festgelegt werden. So müsse den Pflegekräfte ein Recht gegeben werden, Heil- und Hilfsmittel ohne Arzt selbst zu verordnen. „Selbst ein Kräutertee muss heute mit dem Arzt abgesprochen werden“, kritisierte Brysch. Heute sei zudem völlig intransparent, was den einzelnen Pflegeeinrichtungen für bestimmte Leistungen bezahlt werde. „Die Datenhoheit liegt bei den Lobbyverbänden“, sagte der Chef der Patientenschutzorganisation. Hier müsse die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Fakten auf den Tisch kämen. (ryb/rtr/dpa/epd)