Notfalls sollen Problemfälle öffentlich werden. Minister Bahr und die Union ziehen die Daumenschrauben an und drohen mit Konsequenzen.

Berlin. Nach massiven Drohungen der Bundesregierung wollen die Krankenkassen alle Versicherten der bankrotten City BKK jetzt anstandslos aufnehmen. Möglichst viele der 167.000 Betroffenen sollen binnen sechs Wochen eine neue Chipkarte bekommen, Problemfälle sollen allen Beteiligten einer eigens gegründeten Kassen-„Task force“ gemeldet werden. Der neue Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) drang auf eine konkrete Lösung bis zum Wochenende und drohte andernfalls mit Konsequenzen. Die Union will Kassenvorstände notfalls persönlich in haften lassen.

Kein Versicherter mehr werde an andere Kassen geschickt, teilten die Kassenverbände nach einem Krisentreffen am Donnerstag in Berlin mit. Dort waren 30 Vertreter der 18 hauptsächlich betroffenen Kassen zusammengetroffen. Helfen sollten zusätzliche Beratungsstellen, mehr Berater und längere Öffnungszeiten. Der Chef der Securvita Krankenkasse, Ellis Huber, sagte der Nachrichtenagentur dpa, eingerichtet werden solle ein E-Mail-Verteiler aller „Task force“-Mitglieder. „Hier werden ab sofort alle Problemfälle gemeldet. Ab sofort werden diese Fälle öffentlich gemacht.“

Die City BKK wird am 1. Juli geschlossen. Andere Kassen in den vor allem betroffenen Städten Hamburg und Berlin hatten vor allem ältere Patienten mit hohen Kosten unter teils fadenscheinigen Begründungen abgewimmelt, obwohl sie zur Aufnahme verpflichtet sind. „Ab dem ersten Tag der Mitgliedschaft in der neuen gesetzlichen Krankenkasse hat der Versicherte Anspruch auf den gesamten Leistungskatalog“, betonten die Verbände nun. Bisher seien 40 000 City-BKK-Versicherte von anderen Kassen aufgenommen worden.

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Über 400 Beschwerden von gedemütigten Versicherten wurden gesammelt, wie Huber mitteilte. Die Abweisung der Versicherten nannte der Kassenchef einen „Super-GAU“ für die Krankenversicherung. „Es hat zu einem Erwachen geführt bei allen Beteiligten.“

Bahr hatte vor dem Treffen „konkrete Lösungen“ angemahnt. „Wenn aber die Kassen nicht in dieser Woche in der Lage sind, dann muss die Politik nächste Woche in der Koalition darüber beraten, ob wir und wenn ja welche Konsequenzen wir daraus ziehen.“ Danach sagte ein Bahr-Sprecher der dpa: „Die Kassen müssen jetzt unter Beweis stellen, dass die vereinbarten Maßnahmen funktionieren.“

Kassenchefs, die Interessierte abwimmelten oder Geschäftsstellen schlössen, müssten „persönlich haften“, sagte Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) der „Financial Times Deutschland“. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach unterstützte den Vorstoß. Singhammer kündigte Unionsberatungen über eine Gesetzesänderung für kommende Woche an.

Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn sprach sich bei „Bild.de“ für Geldbußen der Kassenvorstände aus, bei denen Patienten abgewiesen wurden. „Wenn Kassenvorstände für das systematische Abwimmeln von Patienten persönlich haften, etwa durch eine Geldstrafe, im Extremfall durch Abberufung durch die Aufsicht, werden sie sich solche Aktionen in Zukunft drei Mal überlegen“, sagte er.

Bahr kritisierte: „Das Verhalten der Krankenkassen, die jetzt tricksen und andere abwimmeln, ist nicht in Ordnung.“ Versicherte könnten sich bei der Aufsicht beschweren. Sie gehe den Fällen nach. Bahr sprach von einem „großen Imageschaden“ für die Kassen.

„Alle wissen: Die Zeit drängt“, sagte Christine Richter vom BKK Bundesverband, die das Kassentreffen moderiert hatte. Wenn Versicherte später als 1. Juli Mitglied einer neuen Kasse würden, müssen sie Behandlungskosten eventuell privat vorstrecken.

Der Chef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, nannte die Abweisung von Versicherten in der „Bild“-Zeitung „eine echte Blamage - vor allem für Kassen, die sonst gern von Solidarität reden“. Die Ärzteorganisation Marburger Bund sprach von einem Skandal. Huber sagte: „Wir haben eine Kommunikationskatastrophe, die das Bundesversicherungsamt verursacht hat.“ Die Behörde habe die City-BKK-Schließung verkündet, ohne Betroffene vorher zu informieren.

Bahrs Vorgänger Philipp Rösler (FDP) sagte, dass die Möglichkeit von Kassenschließungen politisch immer gewollt gewesen sei. Derzeit gibt es noch 155 Kassen – die Zahl dürfte weiter sinken.

Im Wahljahr 2013 drohen den Versicherten laut dem SPD-Experten Lauterbach eine Welle von Kasseninsolvenzen: „Genau in zwei Jahren werden wir die maximale Bewegung im Sinne der meisten Insolvenzen haben.“ Kostensteigerung von jeweils fünf Milliarden Euro kämen 2012 und 2013 auf die Kassen zu. Die Folge seien Zusatzbeiträge von 16 Euro pro Jahr im Schnitt – eine große Spannbreite führe aber zu reichlich Kassenwechsel und -insolvenzen. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, Geringverdiener und Ältere würden immer stärker zu Verlierern schwarz-gelber Gesundheitspolitik. (dpa/abendblatt.de)