Jörg Debatin musste nach dem Umzug ins neue Klinikum Kritik einstecken. Der UKE-Chef über Umzugsprobleme und die Zukunft der Forschung.

Hamburg. Er hat turbulente Monate hinter sich. UKE-Chef Professor Jörg F. Debatin musste nach dem Umzug ins neue Klinikum viel Kritik einstecken. Im Gespräch mit dem Abendblatt blickt er zurück - und nach vorne.

Abendblatt:

Herr Professor Debatin, Anfang 2009 fand der Umzug in das neue Klinikum der Universitätsklinik Eppendorf statt. Wie lautet ihr Fazit?

Jörg F. Debatin:

Wir haben eine Menge gelernt. Es war turbulenter als erhofft, aber auch erfolgreicher als erwartet. Die Fertigstellung des Klinikums im Zeit- und Kostenrahmen ist nicht vom Himmel gefallen, der Umzug war eine logistische Meisterleitung, bei der Inbetriebnahmephase ist uns allerdings ein bisschen die Puste ausgegangen.

Was heißt "Puste ausgegangen"?

Wir haben die Komplexität der Aufgabe unterschätzt. Neue IT, neue Räumlichkeiten, neue Arbeitsprozesse - da kam für alle Mitarbeiter viel zusammen. Das führte zu manchem Missverständnis. Nach außen entstand ein Bild, das die wahre Leistungsfähigkeit des UKE nicht richtig widergespiegelt hat.

Was lief gut, was nicht?

Wir haben ein sehr funktionsfähiges Gebäude, das heute schon ein Exportschlager ist. Mit einer engen Abstimmung zwischen Pflegepersonal und Ärzten haben wir gemeinsam ein Klinikum für Hochleistungsmedizin geschaffen, das den Patienten in den Mittelpunkt stellt. Aber am Anfang hat es an einigen Ecken eben auch geknirscht.

Wer hat da Fehler gemacht?

Als Vorstandsvorsitzender trage ich die Gesamtverantwortung und suche deshalb zunächst einmal Fehler bei mir selber. Ich habe die Intensität der Inbetriebnahme nicht richtig eingeschätzt. Bei aller Selbstkritik bleibt festzuhalten: Organisatorische Pannen hat es gegeben, eine Gefährdung von Patienten nicht. Das wurde uns in einem Gutachten des Experten für Patientensicherheit, Professor Schrappe, bestätigt.

Ende des Jahres war von einer Daten-Affäre die Rede. Es gab den Verdacht, dass auf Daten von Mitarbeitern illegal zugegriffen worden ist. Im Februar ging bei der Staatsanwaltschaft eine anonyme Strafanzeige gegen die Leitung des UKE ein. Wie sehr hat Sie das getroffen?

Ich wäre mit dem Begriff Affäre vorsichtig. Wie alle anderen Unternehmen setzt auch das UKE Programme zur Administration seiner Rechner ein. Dieses war so eingestellt, dass Missbrauch bei normaler Anwendung ausgeschlossen war. Nun hat der Datenschützer festgestellt, dass dieses Programm in krimineller Absicht hätte manipuliert werden können. Zwei unangekündigte Untersuchungen des Datenschützers haben allerdings keine Hinweise auf Manipulationen ergeben. Gleichwohl haben wir Ratschläge des Datenschützers, wie das Programm vor Missbrauch noch besser geschützt werden kann, umgehend umgesetzt. Aber ich sage auch deutlich: Die absolute Datensicherheit gibt es nirgends.

Der Datenschützer hat moniert, dass es bei der verwendeten Software keine Zugriffssperre gegeben habe. Die Staatsanwaltschaft hat nur deshalb kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil dafür eine Sperre hätte überwunden werden müssen - sind Sie erleichtert?

Leider wurden öffentliche Personen wie ein Ärztlicher Direktor des UKE schon mal Zielscheibe anonymer Anzeigen. Ich wurde auch schon der fahrlässigen Körperverletzung beschuldigt, weil ich angeblich das Trinkwasser des UKE mit Schlafmitteln versetzt hätte. Da der Anzeigende anonym bleiben kann, ist die Hemmschwelle für die absurdesten Unterstellungen sehr niedrig. Von daher sehe ich mich durch das Vorgehen der Staatsanwaltschaft bestätigt.

Es scheint im UKE eine größere Opposition zu geben, sonst würden ja nicht so viele Interna nach draußen dringen.

Die überwältigende Mehrheit der UKEler unterstützt den Kurs, der das UKE baulich erneuert, wirtschaftlich saniert und inhaltlich zu neuer Leistungsfähigkeit in Forschung, Lehre und Krankenversorgung geführt hat. Er steht für moderne Medizin, in der nicht der einzelne Arzt, sondern der Patient, umgeben von einem Spezialisten-Team, im Mittelpunkt steht.

Und damit machen Sie einigen "Göttern in Weiß" das Leben schwer?

Das wäre viel zu einfach.

Das Leben ist manchmal einfach.

Vielleicht bei Zeitungen, aber nicht bei uns. Ein derartiger Veränderungsprozess geht in einem Universitätsklinikum nicht auf Knopfdruck. Sondern über viele Jahre. Bei über 7000 Mitarbeitern wird es aber immer eine Handvoll geben, denen die Veränderungen auch langfristig keine Freude machen.

Was rufen Sie, um in Ihrer Mathematik zu bleiben, den fünf Gegnern zu?

Denen sage ich zunächst: Seht euch nicht als Gegner. Bringt euch offen ein. Das UKE wird mit einem großen Lenkrad gesteuert und an dem ist Platz für viele Hände. Mitmachen geht aber nicht aus der Deckung der Anonymität. Heckenschützenmentalität hat in unserem UKE keine Zukunft.

Sie hatten nach dem Umzug 17 Prozent mehr Patienten. Wie hat sich das entwickelt?

Auf das gesamte Jahr 2009 gesehen sind wir um 9,4 Prozent gewachsen - eine beachtliche Leistung in Anbetracht des Umzugs. Im laufenden Jahr sind in den ersten fünf Monaten die Patientenzahlen um weitere elf Prozent gestiegen. So behandeln wir heute 60 Prozent mehr Patienten als vor fünf Jahren, ein deutlicher Vertrauensbeweis der Hamburger in ihr UKE.

Wie viele Patienten passen denn überhaupt noch rein?

Eine spannende Frage: Wir haben das neue Klinikum so konzipiert, dass wir von 25 Prozent Wachstum ausgegangen sind. Natürlich muss man da nicht nur mit Räumen und Betten nachsteuern, sondern auch mit dem Personal.

Wie hoch ist der Stress für die einzelnen Mitarbeiter auf den Stationen?

Aufgrund des Kostendrucks ist die Arbeitsbelastung im Krankenhaus grundsätzlich hoch - und da denke ich neben den Ärzten insbesondere an die Pflegekräfte. Ein besonderer Härtetest war die Eiszeit in Hamburg. Da hatten wir bis zu 300 Knochenbrüche in 48 Stunden zu versorgen. Aufgrund der flexibel nutzbaren Infrastruktur sind wir nicht in die Knie gegangen und haben alle Patienten aufnehmen können. Diese sechs langen Wochen haben alle Mitarbeiter viel Kraft gekostet.

Gibt es genug Personal?

Wir kämpfen um die besten Talente, in der Pflege und bei den Ärzten. Es gibt in allen Bereichen einen zunehmenden Mangel an qualifizierten Kräften. Davon aber bleiben wir bislang zum Glück verschont, weil wir ein tolles Team und eine hervorragende Infrastruktur haben. Das spiegelt sich auch in der Mitarbeiterzufriedenheit: Eine Befragung im letzten Sommer, also mitten in der schwierigen Inbetriebnahmephase, ergab gegenüber 2006 eine deutliche Steigerung der Mitarbeiteridentifikation mit dem UKE als 'Unternehmen mit Zukunft'. Das liegt vor allem an unserer Konzeption einer modernen Medizin, die wir nicht nur plakativ beschreiben, sondern wirklich leben.

Was heißt das konkret?

Zum Beispiel wird jeder Patient mit einem Tumorleiden im UKE in einem 'Tumorboard' vorgestellt, in dem Experten aller relevanten Fachrichtungen vertreten sind. Das klingt einfach, ist in der Umsetzung aber schwierig. Alle Beteiligten haben somit die Sicherheit, das Optimum an Therapie für den einzelnen Patienten herausgeholt zu haben. Aufgrund dieser fachübergreifenden Zusammenarbeit ist das UKE von der deutschen Krebshilfe im letzten Jahr als 'onkologisches Spitzenzentrum' ausgezeichnet worden - übrigens als Einziges in ganz Norddeutschland.

Gilt ähnliches auch für die Forschung?

Ja, auch da ziehen wir jetzt um das einzelne Forschungsprojekt fachübergreifend Experten zusammen, die gemeinsam an der Lösung eines Problems arbeiten. Das zu sehen, in einem neuen Gebäude, in dem sich auf einmal Menschen begegnen, die sich früher bei 172 dezentralen Pavillons nie über den Weg gelaufen sind, macht großen Spaß.

Wo steht das UKE in der Forschung?

Wir sind noch lange nicht an der Spitze angekommen, haben in den letzten fünf Jahren unsere Forschungsleistung aber mehr als verdoppeln können.

Woran machen Sie das fest?

Wir zählen Veröffentlichungen unserer Wissenschaftler und sogenannte Drittmittel, also Gelder, die dem UKE für Forschungsprojekte von Institutionen wie der EU, der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der Industrie zur Verfügung gestellt werden. Das waren im Jahr 2007 etwa 30 Millionen Euro und im Jahr 2009 schon über 45 Millionen Euro. Damit finanzieren wir knapp 600 hoch qualifizierte Arbeitsplätze in der Forschung. Um noch mehr Erfolg zu haben, müssen wir uns weiter auf einzelne Themenbereiche fokussieren. Nur so können wir global an der Spitze mitspielen. Den Weg können wir nicht alleine gehen, wir brauchen Partner aus den anderen Fakultäten der Universität sowie aus außeruniversitären Forschungseinrichtungen, von denen Hamburg leider nur wenige hat.

Fühlen Sie sich von der Politik in Hamburg ausreichend unterstützt?

Das UKE hat 340 Millionen Euro Investitionsmittel für die neuen Gebäude bekommen, dafür sagen wir erst einmal ein großes Dankeschön. Jetzt geht es darum, zu vermitteln, dass der Wohlstand der Stadt, der von Kaufleuten begründet ist, zwingend voraussetzt, dass wir mehr Wissenschaft machen. Unser Wohlstand wird in zehn Jahren davon abhängen, dass wir heute in Wissenschaft investieren. Und da können die Lebenswissenschaften, zu denen neben der Medizin die Biologie, Biochemie, Physik und Chemie gehören, eine ganz entscheidende Rolle spielen. Somit ist das UKE auch für die Zukunftsfähigkeit Hamburgs von erheblicher Bedeutung.

Ist es ein Vorteil, wenn man diese wissenschaftliche Arbeit über die Stadt verteilt?

Eine Metropole wie Hamburg ist viel zu groß, als dass wir uns auf einen Standort beschränken sollten. Bei der Standortdefinition sollte berücksichtigt werden, dass in der Wissenschaft thematische Klammern deutlich wichtiger sind als institutionelle Zugehörigkeit. Wir brauchen Standorte, in denen sich Menschen, die an ähnlichen Themen arbeiten und forschen, zwanglos über den Weg laufen. In den USA spricht man übersetzt von dem "gerichteten Zufall". Orte schaffen, an denen man sich austauscht und dann auf einmal die zündende Idee hat.

Das klingt nach einem Masterplan UKE.

Was wir brauchen, ist ein 'Masterplan Wissen' für ganz Hamburg. Darin sehe ich mindestens fünf thematisch fokussierte Wissensstandorte. Das UKE-Gelände würde ich in diesem Konzept gerne zu einem Life-Science-Park entwickeln. Ein Zentrum für die Lebenswissenschaften im Norden. Auf unserem Gelände sind ja schon jetzt viele weitere Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen wie die Facharztklinik, das Reha-Zentrum Hamburg und Stiftungen untergebracht.

Wird das UKE, wie bei Ihrem Antritt 2003 angekündigt, 2010 erstmals eine schwarze Null in der Bilanz schreiben?

Wir haben unsere Planziele in jedem Jahr erreicht, auch in dem schwierigen Jahr 2009 mit einem Bilanzminus von 3,7 Millionen Euro. Das ist immer noch viel Geld, aber schon deutlich überschaubarer als die 37 Millionen Euro Defizit 2003. Bei einem Umsatz von über 700 Millionen Euro ist das Ziel einer schwarzen Null in greifbarer Nähe.