Patienten in Gefahr, OP-Besteck fehlt, Anarchie im Bettenmanagement. Das beklagten die Chefärzte - und plötzlich überkam sie ein wundersamer Sinneswandel.

So richtig konnte Professor Jörg F. Debatin die Sache auch nicht erklären. Und deswegen setzte der Ärztliche Direktor des UKE gestern lieber ein mildes Lächeln auf, das wohl sagen sollte: "Alles halb so wild." Eben noch hatten die Ärztlichen Leiter aus 15 medizinischen Zentren in einem sechsseitigen Brief an den UKE-Vorstand eine beispiellose Fülle von gravierenden Problemen - knapp drei Monate nach dem Umzug ins Neue Klinikum - angeprangert (das Abendblatt berichtete). Und tags darauf unterzeichneten dieselben Autoren ein Statement, in dem sie das genaue Gegenteil behaupten. Aus "die Patientensicherheit ist gefährdet" wurde über Nacht "die Patientenversorgung ist sicher", aus "für das Bettenmanagement besteht quasi eine Art Anarchie" wurde "von anarchischen Zuständen kann keine Rede sein".

Was er den Ärztlichen Leitern gegeben habe, wurde Debatin auf der eilig einberufenen Pressekonferenz gefragt. Nicht vorhandenes OP-Besteck, Verzögerung des Schnittbeginns, vereinzelte Tischschließungen, katastrophales Bettenmanagement, fehlende Faxgeräte, schwerfälliges Computersystem, eklatanter Personalmangel im Pflegebereich - der Professor lächelte die wundersame Wandlung der Chefärzte, die dieses alles schriftlich moniert und sich wenig später daran offenbar nicht mehr erinnern konnten, einfach weg. Und sprach davon, dass es natürlich Engpässe und Probleme bei einem solch gewaltigen Umzug gebe.

Diese hätten aber hauptsächlich einen Grund: das unerwartete Wachstum. Und das wiederum sei eine Folge der Qualität: "Wir sind Opfer unseres Erfolges", sagte Debatin. Wer hätte schon damit rechnen können, dass plötzlich täglich dreimal so viele Hubschrauber mit Notfallpatienten wie zuvor kämen. "Die kommen ja nicht zum UKE, weil sie glauben, dass die Patienten hier besonders schlecht behandelt werden."

Die Leistungsfähigkeit des Neuen Klinikums werde durch die überaus überraschende Zahlenentwicklung im Monat März dokumentiert. So wurden im März 2009 im Vergleich zum März 2008 16,9 Prozent mehr Patienten operiert. Das UKE insgesamt ist gegenüber dem Vorjahresmonat um 17,2 Prozent gewachsen. In einzelnen Kliniken, wie zum Beispiel der Allgemeinchirurgie, der hepatobilären Chirurgie, der Neurochirurgie oder der Urologie lag das Wachstum sogar bei deutlich über 25 Prozent. Debatin: "Mit einem solchen Ansturm hatten wir nicht gerechnet. Als Resultat bestehen bereits jetzt Engpässe im Bereich der Normal- und Intensivpflege sowie auch im Bereich der OP-Verfügbarkeit." Auch im März habe es vereinzelte Tischschließungen gegeben. Dem gegenüber stehe allerdings eine Ausweitung der OP-Leistungen, gemessen in produktiven OP-Minuten gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahrs um 21,35 Prozent und einer Fallzahlsteigerung von 16,91 Prozent. "Diese unerwartet deutliche Steigerung hat zu einem vorübergehenden Engpass beim OP-Personal geführt."

Dass man Patienten, die jetzt vermehrt auch mit vergleichsweise kleineren Wehwehchen ins UKE kämen, ab und an mal zu anderen Ärzten in der Umgebung schicken sollte, räumte er ein. Das sei immer Abwägungssache, sagte Debatin und berichtete von einem Jogger, der sich den Fuß verstaucht hatte und sich dann darüber beschwerte, dass er im UKE anderthalb Stunden auf die Behandlung warten musste.

Debatin äußerte zwar Verständnis für die Frustration und den "ein oder anderen emotionalen Ausbruch" von einzelnen Mitarbeitern, aber man solle "nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen", denn "in der Medizin und vor allem in der Chirurgie geht es manchmal etwas rauer zu als anderswo".

Nach wie vor bestehe das Problem der zu hohen Temperaturen im Operationssaal, aber er hoffe, dass dieses mit dem Einbau zusätzlicher Kühlaggregate "bis zum Sommer" gelöst sein wird.

Bis dahin wird sich auch die zuständige Senatorin ein Bild über die Probleme gemacht haben. Herlind Gundelach kündigte ein Treffen mit Debatin und den Zentrumsleitern in der kommenden Woche an. Vielleicht kann sie anschließend den Widerspruch aufklären.