Preisverfall und 50-prozentiger Absatzrückgang treffen Hamburger Landwirte hart. Christian Behn fühlt sich an Tschernobyl erinnert.

Hamburg. Der erste Storno kam nachmittags. Als im Laufe des Abends immer mehr Anrufer Aufträge zurücknahmen, war Christian Behn klar: Der Mittwoch wird kein schöner Tag. Und so kam es dann auch. Am Ende der Nacht hatte der Gemüsebauer aus Ochsenwerder an seinem Stand auf dem Hamburger Großmarkt gerade einmal die Hälfte des normalen Tagesumsatzes verbucht. Zudem brachte die verkaufte Ware ein Drittel weniger Erlös als in der Woche zuvor. Hunderte Salatköpfe mussten gestern auf Behns Hof geschreddert werden - als Dünger für junges Gemüse.

"Ein Jammer", sagt der 37 Jahre alte Landwirt im Anschluss an die durchgearbeitete Nacht und einen kurzen Vormittagsschlaf. "Solche Einbrüche können sich rasch zum wirtschaftlichen Desaster auswirken." Beim Morgengrauen hatte ein altgedienter Marktkollege orakelt: "Hoffentlich wird das nicht so katastrophal wie nach Tschernobyl." Aus Furcht vor verstrahlter Nahrung hätten die Verbraucher damals "Gemüse noch nicht einmal geschenkt" genommen. Es waren Wochen, die manche Bauern existenziell arg in die Bredouille brachten.

Auch jetzt wächst die Furcht vor Vernichtung der Ernte und finanziellem Fiasko. "Hoffentlich wird die Ursache der Erkrankungen schnell gefunden", fährt Christian Behn fort. Am Montag hatte das Verbraucherschutzamt Hamburg-Mitte überall auf dem Großmarkt Naturprodukte mitgenommen, um sie chemisch untersuchen zu lassen. Ergebnis noch offen. "Wenn was wäre, hätten wir das gewiss längst gehört", hofft er. "Praktisch unser ganzes Leben hängt doch am Gemüsebau - seit vier Generationen."

Bei dieser Feststellung deutet er über die Wiesen und Felder direkt hinter dem Ochsenwerder Elbdeich und abseits des Rotklinkerhauses, in dem auch die Ehefrau und seine Eltern wohnen. Eine norddeutsche Idylle: Platt ist der Boden, üppig grün und fruchtbar. Am Horizont sind Eichenhaine zu sehen; davor tuckern Trecker über Ackerwege. Ein Gemüsebauer neben dem anderen pflegt seine Felder. Man kennt sich. Eigentlich immer schon.

Vier Erntehelfer aus Polen stehen gebückt und ernten Feldsalat. Mit Messern trennen sie die Köpfe ab und schichten sie in gelbe Plastikkästen mit der Aufschrift "Erzeugergemeinschaft Hamburg". In der Hochsaison, also jetzt, helfen zwei Teilzeitrentner. Bis vorgestern. Denn im Moment besteht kein Bedarf mehr. Statt mit 5000 Salat- und Kohlköpfen wie noch am Montag transportiert Christian Behn für die Nacht auf Donnerstag nur noch 2000 zum Großmarkt - in seinem gelben 7,5-Tonner mit Kühlung. Am Steuer sitzt der Chef persönlich. Zuvor wird das Gemüse ordentlich abgespritzt - mit Wasser aus dem nahe gelegenen Oortkatener See. Bei vier bis fünf Grad wird es wenige Stunden im Kühlhaus gelagert. "Salat wird im Nu welk", weiß Behn, "den wird man nur taufrisch los." Ob die um mehr als die Hälfte reduzierte Ware überhaupt Kundschaft findet, ist offen.

Abnehmer auf dem Großmarkt sind entweder kleine Einzelhändler oder Wochenmarkthöker, die den Salat in ihren Geschäften oder an ihren Ständen umgehend an Endverbraucher verkaufen. Hinzu kommen Zwischenhändler, die Restaurants oder Läden beliefern. Fast alle Käufer sind langjährige Stammkunden. Im Prinzip kann jeder Verbraucher wissen, wo sein Salat gewachsen ist.

"Hier ist traditionell alles anständig und sauber", ergänzt Christian Behn. Düngen mit Gülle? "Kompletter Quatsch", entgegnet der Landwirt. Erstens verboten, zweitens nicht effektiv. In der Tat sind nirgendwo in den Marschlanden Güllewagen zu sehen. Und es duftet eher nach gemähten Wiesen, Goldregen oder Rosen als nach schietigem Dung. "Wir verwenden körnigen Mineraldünger und Wasser zum Säubern", sagt er. Regelmäßige Kontrollen und strenge Auflagen kämen ihm nur gelegen. Das Ergebnis auf den Feldern kann sich sehen lassen. Auf fünf Hektar des Behn-Betriebs stehen rund 250 000 Salate unterschiedlicher Größen und Sorten: Rauke, Feldsalat, Lollo rosso, Lollo bianco, Kopfsalat, Eichenblattsalat. Hinzu kommen Kohlrabi, Blumenkohl, Spitz- und Chinakohl. Etwa eine Million Köpfe pro Jahr werden erzeugt und verkauft. Normalerweise. Dafür malochen Behn und seine Männer zwischen Mai und August sieben Tage in der Woche à zwölf Stunden. Plus Einsatz auf dem Großmarkt ergeben sich täglich kaum mehr als sechs Stunden Bettruhe - abends und vormittags nach der Arbeit auf dem Hamburger Großmarkt.

Christian Behn zeigt auf seine Felder. Alles sieht mustergültig aus. Und was steht in den Gewächshäusern nebenan? "Kommen Sie", sagt er, weist den Weg. Insgesamt 4000 Gurkenpflanzen stehen auf dem Hof unter Glas, in Reih' und Glied, an Schnüren hochgezogen. Zwei bis drei Prachtexemplare hängen an einer Pflanze. Und jede von ihnen bringt während der Ernteperiode rund 30 Früchte. Behn bückt sich, zupft eine grüne Gurke ab, beißt herzhaft hinein. "Köstlich", sagt er - und reicht ein weiteres Stück. Warum nicht ...