Ein „Realitäts-Check“ von Sascha Balasko, Andreas Dey, Peter Ulrich Meyer und Julia Witte mit einer Grafik von Julian Rentzsch.

Der 13. Juni 2012 war ein historischer Tag: Die Bürgerschaft beschloss einstimmig das Transparenzgesetz, das Senat und Behörden verpflichtet, umfassend Einblick in Akten, Dokumente, Verträge, Studien und Beschlüsse zu gewähren. Auch wenn es nach wie vor Streit darüber gibt, wie weit die Auskunfts- und Einsichtsrechte der Bürger konkret gehen: Der SPD-geführte Senat muss - wie keine andere Landesregierung - Entscheidungen, Planungen und Organisation offenlegen.

Transparenz anderer, freiwilliger Art in eigener Sache hat Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bereits im Wahlkampf angekündigt. Er wolle sich im Falle seiner Wahl an seinen Worten messen lassen. "Was ich versprochen habe, das halte ich. Was ich nicht versprochen habe, habe ich nicht versprochen", erklärte Scholz ein ums andere Mal recht markig. Selten hat ein Politiker die Wähler eindringlicher zur Überprüfung seiner Arbeit und die seiner Mitstreiter eingeladen als eben Scholz.

Den Anlass für den "Realitäts-Check" des Abendblatts hat also Scholz selbst geliefert. Es gilt das gesprochene und geschriebene Wort. Gesprochen vom Ersten Bürgermeister in seiner Regierungserklärung am 23. März 2011, geschrieben im Arbeitsprogramm des Senats vom 10. Mai 2011. Versprechen aus elf Politikbereichen hat das Abendblatt ausgewählt - von der festen Zusage, jährlich 6000 zusätzliche Wohnungen zu schaffen, über die Ankündigungen, das modernste Bussystem Deutschlands zu installieren und den Haushalt zu konsolidieren, bis zu dem Anspruch, dass jeder Jugendliche einen Schulabschluss machen soll.

Wir haben die Versprechen danach ausgewählt, ob sie eine gewisse politische Bedeutung haben und ob es messbare Kriterien gibt, anhand derer sie überprüft werden können. Eine Ausnahme bildet die Ankündigung von Scholz, "ordentlich" zu regieren - diesem Anspruch hatte er im Wahlkampf eine so zentrale Bedeutung gegeben, dass auch ohne messbare Kriterien eine Wertung vorgenommen wird. Einmal im Jahr - so wie jetzt zur Mitte der Legislaturperiode - fragen wir danach, ob oder wie weit die politischen Versprechen bereits umgesetzt sind.

Selbstverständlich beschäftigte sich der Senat mit sehr viel mehr Themen, als auf einer Doppelseite behandelt werden können. Mehr als ihm selbst lieb gewesen sein kann, musste sich Scholz um die Megathemen der Landespolitik kümmern: Elbphilharmonie, Elbvertiefung, HSH Nordbank und Hapag-Lloyd. Eine Woche vor Weihnachten gab der Bürgermeister die (vorläufige) Einigung mit dem Baukonzern Hochtief bekannt, der die Konzerthalle nun doch fertigstellen soll. Fast 200 Millionen Euro mehr muss die Stadt hinblättern, am Ende wird die Elbphilharmonie nach jetzigem Stand 575 Millionen Euro kosten. Kein schöner Tag für den Bürgermeister, der lange davon gesprochen hatte, die Probleme auf der Baustelle nicht mit dem Scheckheft lösen zu wollen.

Krisenmanagement war von Scholz und Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) gefordert, als sie im Oktober während einer Indienreise vom vorläufigen Baustopp für die Elbvertiefung erfuhren. Scholz hatte das bedeutende Infrastrukturprojekt zuvor zur Chefsache erklärt und politische Widerstände aus dem Weg geräumt. Jetzt stieß der "Macher" an juristische Grenzen. Optimisten rechnen mit einem Start der Baggerarbeiten erst Anfang 2014.

Zwar geriet der Senat wegen der Kürzung der offenen Kinder- und Jugendhilfe um 3,5 Millionen Euro heftig in die Kritik, aber was ist das im Vergleich zu den rund 420 Millionen Euro, die der Senat zum Erwerb weiterer Anteile an der Traditionsreederei Hapag-Lloyd aufbrachte? Ein riskantes Geschäft: Die Reederei, nun zu 37 Prozent in städtischem Besitz, ist weiterhin schwer von der Schifffahrtskrise gebeutelt. Das Gleiche gilt für die HSH Nordbank, deren Vorstands- und Aufsichtsratschefs zwar mehr oder weniger geräuschlos ausgewechselt wurden. Aber die Bank ist noch längst nicht über den Berg, die erneute Aufstockung des Garantierahmens der Länder von sieben auf zehn Milliarden Euro steht bevor.

Gezielt haben sich der Bürgermeister und viele seiner Senatoren bundespolitisch engagiert. Der Senat erwägt eine Klage gegen das Betreuungsgeld. Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) hatte im Bundesrat Erfolg mit einer Initiative zur Einführung einer Frauenquote in den Aufsichtsräten von DAX-Unternehmen. Schulsenator Ties Rabe (SPD) war als Präsident der Kultusministerkonferenz ein Jahr lang bundesweit präsent.

Dass es Scholz nicht bei scheinbar biederem Regierungshandwerk belassen will, hat auch seine erste Überseeclub-Rede vor wenigen Tagen bewiesen. Der Bürgermeister entwarf ein Szenario für das Jahr 2030, wenn Hamburg laut Bevölkerungsprognosen zwei Millionen Einwohner erreichen kann. Der sonst eher nüchterne SPD-Politiker geriet bei der Schilderung der Perspektiven für die Stadt trotz des erforderlichen massiven Ausbaus der Infrastruktur (Kindergärten, Schulen usw.) in beinahe euphorische Stimmung.