Können sich Gewaltopfer nicht an Details erinnern, weil sie traumatisiert sind? Im Kachelmann-Prozess ist genau diese Frage höchst umstritten.

Mannheim. Im Prozess gegen Jörg Kachelmann hat ein Gutachter darauf hingewiesen, dass sich Opfer von Gewalttaten in der Regel gut an die Tat erinnern könnten. Er nährte damit Zweifel an der These, dass Erinnerungslücken Folgen einer Traumatisierung seien. Der Therapeut von Kachelmanns Ex-Geliebter, Günter Seidler, vertritt die umstrittene Ansicht, Erinnerungslücken des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers seien auf eine Traumatisierung zurückzuführen. Die Frau beschuldigt Kachelmann, er habe ihr ein Messer an den Hals gedrückt und sie vergewaltigt. Der 52-jährige Schweizer bestreitet das.

In der Regel würden „dramatische Ereignisse in großer Helligkeit erinnert“, sagte der psychiatrische Sachverständige Hans-Ludwig Kröber am Freitag vor dem Mannheimer Landgericht. Die alltägliche Erfahrung zeige, dass Gewalttaten gut erinnert werden könnten. Das „Kerngeschehen“ bleibe in der Regel fest verankerter Bestand der Erinnerung. Laut Kröber führt ein schreckliches Erlebnis auch nicht automatisch zu einem Trauma. Nur etwa 30 Prozent der Heimkehrer aus dem Vietnamkrieg hätten entsprechende Symptome wie Schlaflosigkeit, Gereiztheit und depressive Stimmung entwickelt. Diese Symptome seien zudem kein Beweis für ein Trauma, sondern könnten auch andere Ursachen haben.

Starke Belastung und Krankheit könnten zu einem globalen Gedächtnisverlust führen, punktuelle Erinnerungsausfälle seien eher unwahrscheinlich, sagte der Direktor des Instituts für forensische Psychiatrie an der Berliner Charité. Kröber hatte die Ex-Geliebte Kachelmanns zwei Tage lang befragt. Die Öffentlichkeit wurde erneut ausgeschlossen als er die Ergebnisse der Befragung schilderte. Das Landgericht Mannheim hatte Kröber als sachverständigen Gutachter beauftragt.

Kachelmanns Verteidiger Johann Schwenn bezweifelte unterdessen, dass die Staatsanwaltschaft Angaben einer angeblichen Ex-Geliebten in der Schweiz korrekt wiedergegeben habe. Die Frau soll Kachelmann bei einem Telefonat mit den Ermittlern angeblich belastet haben. Schwenn beantragte, Staatsanwalt Oskar Gattner als Zeugen dazu zu vernehmen. Laut Schwenn soll die Frau nie gesagt haben, dass Kachelmann bei einem Treffen kurzzeitig „wie verwandelt gewesen“ sei und sie „Angst wie noch nie in ihrem Leben“ empfunden habe. Weil sich die Frau geweigerte hatte, vor einem deutschen Gericht auszusagen, waren Richter, Staatsanwälte und Verteidiger zu einer nichtöffentlichen Vernehmung in die Schweiz gereist. Über das Ergebnis ist bisher nichts bekannt.

Die Staatsanwaltschaft betonte, die Frau habe sich anders geäußert als von der Verteidigung dargestellt und verwies auf ein Protokoll, dessen Inhalt nichtöffentlich ist. Das Gericht hatte Zuhörer und Journalisten ausgeschlossen, als das Protokoll von der Vernehmung der Frau verlesen wurde. Es gehe um ihre Beziehung zu Kachelmann und Details aus ihrem Intimleben, hatte das Gericht erklärt.

Der Prozess soll am Dienstag fortgesetzt werden.