Die Staatsanwaltschaft baut vor: Sollte Jörg Kachelmann am Dienstag freigesprochen werden, will sie gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen.

Mannheim. Im Vergewaltigungsprozess gegen den TV-Moderator Jörg Kachelmann wird das Landgericht Mannheim an diesem Dienstag (31. Mai, 9 Uhr) das Urteil verkünden. Rund neun Monate dauerte der umstrittenste Indizienprozesse der vergangenen Jahre.

Die Staatsanwaltschaft hat vier Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe wegen schwerer Vergewaltigung und Körperverletzung beantragt. Die Verteidiger des 52 Jahre alten Wettermoderators plädierten auf unschuldig und Freispruch. Drei Berufsrichter und zwei Schöffen müssen nun entscheiden. Nur wenn vier der fünf von der Schuld des Schweizer Wettermoderators überzeugt sind, kann er verurteilt werden, denn die Strafprozessordnung schreibt eine Zweidrittel-Mehrheit vor. Wird die nicht erreicht, ist der Angeklagte frei zu sprechen.

Im Falle eines Freispruchs für Kachelmann will die Staatsanwaltschaft höchstwahrscheinlich zumindest formal Revision gegen das Urteil einlegen. Das sagte Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge am Montag der Nachrichtenagentur dpa. Er widersprach damit Medienberichten, wonach es angeblich eine Absprache innerhalb der Staatsanwaltschaft gebe, auf Rechtsmittel zu verzichten.

Sollte Kachelmann an diesem Dienstag freigesprochen werden, würde die Staatsanwaltschaft "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ Revision einlegen, so Oltrogge. Denn nur in diesem Fall sei das Gericht gesetzlich verpflichtet, eine ausführliche Urteilsbegründung zu schreiben. Von dieser Begründung werde es dann abhängen, ob die Staatsanwaltschaft die Revision weiter verfolge oder zurücknehme.

Nach der Urteilsverkündung hat das Gericht 15 Wochen lang Zeit, die schriftlichen Urteilsgründe zu verfassen. Die Revision muss hingegen schon eine Woche nach der Verkündung eingelegt werden. Kachelmann wird vorgeworfen, er habe seine langjährige Geliebte mit einem Messer bedroht und vergewaltigt. Trotz akribischer Beweisaufnahme und zahlreichen Gutachten steht in dem Prozess Aussage gegen Aussage. Eindeutige Beweise gibt es nicht, und alle Indizien sind umstritten.

Die Ex-Freundin wirft Kachelmann vor, sie in der Nacht zum 9. Februar 2010 in ihrer Wohnung mit einem Messer bedroht und vergewaltigt zu haben. Zuvor habe es einen Beziehungsstreit wegen seiner Untreue gegeben.

Kachelmann bestreitet die Vorwürfe. In dieser Nacht habe es einvernehmlichen Sex gegeben. Erst danach sei es zum Streit gekommen und er habe seine Parallelbeziehungen eingeräumt. Sie hätten sich dann einvernehmlich getrennt.

Als die heute 38-jährige Radiomoderatorin Kachelmann am Morgen anzeigte, hatte sie Verletzungen am Hals und schwere Blutergüsse an den Oberschenkeln. Auf dem Boden vor ihrem Bett wurde ein Küchenmesser sichergestellt. Für die Anklage sind das objektive Indizien, die ihre Aussage bestätigen. Die Verteidigung geht dagegen von Selbstverletzungen aus. Das Messer habe keine eindeutigen Spuren. Es gebe keinen Beweis, dass Kachelmann das Messer überhaupt in der Hand hatte.

Vorverurteilung wird wesentlicher Bestandteil des Verfahrens

Die Glaubhaftigkeit der Ex-Freundin, die elf Jahre mit Kachelmann liiert war und mit ihm in sein Haus im Schwarzwald ziehen wollte, ist ebenfalls hoch umstritten. Nach ihrer Anzeige wurde ermittelt, dass sie seit Monaten Flugtickets mit dem Namen Kachelmann und dem einer anderen Frau besaß. Sie hatte in der fraglichen Nacht jedoch vor dem Wettermoderator behauptet, die Flugscheine seien ihr gerade erst anonym in den Briefkasten gesteckt worden. Außerdem habe das Schreiben mit dem Satz „Er schläft mit ihr“ beigelegen.

Die Flugtickets hatte sie nachweislich früher. Sie hatte auch unter falschem Namen Kontakt zu der Nebenbuhlerin aufgenommen. Den Satz „Er schläft mit ihr“ hatte sie selbst geschrieben, weil sie Kachelmann ihre Nachforschungen verschweigen wollte. Aber auch bei der Polizei blieb sie bei der falschen Vorgeschichte. Erst als ihre E-Mail-Kontakte zu der Nebenbuhlerin ermittelt wurden, gestand sie zwei Monate später ihre Lügen ein.

Für die Verteidigung ist das Beleg, dass auch die Vergewaltigungsbezichtigung nicht stimmt. Die Staatsanwaltschaft argumentiert dagegen, die Lüge im Randbereich breche „nicht den Stab über sie“. Das Tatgeschehen habe sie immer konstant geschildert.

Allerdings gibt es auch hier Lücken. Während sie den Streit mit vielen Details schilderte, wurde ihre Aussage zur Vergewaltigung selbst als mangelhaft bewertet. Die Öffentlichkeit war bei ihrer mehr als 20-stündigen Vernehmung vor Gericht allerdings ausgeschlossen. Ob die Erinnerungslücken mit der Todesangst erklärt werden können oder die bewusste Falschbeschuldigung der Ex-Freundin belegen, war unter den Gutachtern umstritten.

Maischberger diskutiert über Kachelmann-Urteil

Nach em Urteil im Fall Kachelmann diskutiert ARD-Talkerin Sandra Maischberger am Abend (22.45 Uhr) in ihrer Sendung über den Fall des Wetterexperten. Bei ihr zu Gast sind die Journalistin Alice Schwarzer ("Emma“), die den Prozess für die "Bild“-Zeitung begleitete, der ehemalige Kachelmann-Verteidiger Klaus Schroth, die Schauspielerin Ingrid Steeger, der ARD-Rechtsexperte Karl-Dieter Möller, die Staatsanwältin Gabriela Piontkowski vom Sonderdezernat "Gewalt gegen Frauen“ sowie der Schweizer Medienunternehmer und TV-Moderator Roger Schawinski. (dapd/dpa/abendblatt.de)