Der Vater des Amokläufers von Winnenden ist wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz angeklagt. Vor Gericht sagte er nur ein einziges Wort.

Stuttgart. In Stuttgart beginnt der Prozess gegen den Vater des Amokläufer von Winnenden . Die meisten der Hinterbliebenen haben den Mann noch nie in ihrem Leben gesehen. Den Mann , dessen 17 Jahre alter Sohn bei einem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen vor anderthalb Jahren einen ihrer Angehörigen und anschließend sich selbst erschoss. 16 Menschen starben am 11. März 2009.

Die Richter erscheinen im Saal des Stuttgarter Landgerichts. Ein beleibter Mann mit Vollbart betritt den Saal und setzt sich neben die beiden Verteidiger. „Wie heißen Sie?“ fragt der Richter Reiner Skujat. „Ihre Adresse?“ Der 51-jährige Jörg K., der seit dem Amoklauf seines Sohnes Tim mehrmals seinen Namen und seine Adresse geändert hat, beantwortet die Fragen. Es sind wenige Sätze, die Jörg K. während des ersten Prozesstages am Donnerstag spricht. Er zieht es vor zu schweigen und lässt seine Verteidigung sprechen.

Eine halbe Stunde lang treten Nebenkläger ans Mikrofon. Sie nennen ihre Namen und erklären, warum sie vom Amoklauf betroffen sind: „Ich bin die Polizistin, die von Tim K. angeschossen wurde.“ – „Meine Tochter Sabrina wurde ermordet.“ – „Ich bin wegen meines getöteten Ehemannes da.“ 41 Nebenkläger sitzen Jörg K. gegenüber.

Die Anklageschrift wird verlesen: „Der Angeklagte war ein passionierter Sportschütze“, trägt eine junge Frau mit ruhiger Stimme vor. „Der Angeschuldigte hat die Tat seines Sohnes durch das vorschriftswidrige Verwahren der Sportpistole sowie der Munition ermöglicht.“ Der Angeklagte hätte die Tat, so die Ansicht der Staatsanwaltschaft, voraussehen und vermeiden können. Jörg K. droht bei einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz bis zu ein Jahr Haft. Bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung könnte er bis zu fünf Jahre ins Gefängnis kommen.

Einer der beiden Verteidiger, Hubert Gorka, liest eine Eröffnungserklärung vor. Der Sohn des Angeklagten habe vielen Menschen unermessliches Leid zugefügt. „Seien Sie sich unseres Mitgefühls versichert. Unser Mandant trauert mit Ihnen allen.“

Der Vater habe seinen Sohn geliebt, niemals wäre er davon ausgegangen, dass er einen Massenmord begeht. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Tim nicht auch an die weggeschlossenen Waffen im Tresor hätte kommen können, sagt der Verteidiger. „Die Waffe war nicht weggeschlossen, und mit dieser Waffe wurde meine Tochter erschossen“, entgegnet Barbara Nalepa empört. „Wollen Sie dazu etwas sagen?“, wendet sich der Richter an den Angeklagten. „Nein.“ Dies ist das letzte Wort des Vaters am ersten von insgesamt voraussichtlich 27 Verhandlungstagen. Erst am 11. Januar 2011 will das Landgericht nach derzeitiger Planung sein Urteil sprechen.

+++ Das Waffenrecht in Deutschland +++

„Der Angeklagte sieht sich weder physisch noch psychisch in der Lage, selbst auszusagen“, sagt Verteidiger Hans Steffan. Auch die Kraft zu Gesprächen mit Hinterbliebenen habe ihm gefehlt. Jörg K. schweigt. Die Verteidigung weist darauf hin, dass das Gesetz von einer Strafe absehen könne, wenn eine Person schon durch die Tat selbst schwer gestraft sei. Daraufhin verlassen einige der Angehörigen der Opfer aus Protest vorzeitig den Gerichtssaal.

Steffan berichtet, wie das Leben des Unternehmers nach dem Verbrechen seines Sohnes aussieht. Zur Geschäftsführung sei der 51-Jährige nicht mehr in der Lage. Oft überkämen ihn Selbstmordgedanken. Die Tochter des Angeklagten gehe inzwischen auf eine Schule im Ausland, sagt Steffan. Sie leide darunter, lügen zu müssen und unehrlich zu sein, wenn sie nach ihrer Familie gefragt wird. Die Eltern machten sich jeden Tag Vorwürfe: Sie hätten das doch merken müssen, dass ihr Tim zum Massenmörder wird. Warum hat sich der Sohn nicht mitgeteilt?

Ist der Vater des Amokläufers selbst ein Täter, der die Tat hätte verhindern können, oder ein Opfer? Für die Mutter der getöteten Nicole ist klar: „Der Täter darf nicht zum Opfer werden!“ Jörg K. sitzt neben seinen Verteidigern, blickt kurz auf – und schweigt.