Im Prozess gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden forderten die Anwälte der Nebenkläger eine Gefängnisstrafe für den Angeklagten.

Stuttgart/Winnenden. Fast alle Nebenklagevertreter wollen den Vater des Amokläufers von Winnenden im Gefängnis sehen. Rechtsanwalt Uwe Krechl sprach sich am Donnerstag in seinem Plädoyer vor dem Landgericht in Stuttgart für eine Haftstrafe von drei Jahren aus. Alle Anwälte sind ebenso wie die Staatsanwaltschaft der Ansicht, dass der Angeklagte Jörg K. nicht nur gegen das Waffengesetz verstoßen, sondern sich auch der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen und der fahrlässigen Verletzung in mindestens 13 Fällen schuldig gemacht habe. Die Fronten zwischen den Angehörigen der Opfer und dem Angeklagten - das zeigte der Prozesstag - sind zutiefst verhärtet.

Einige der Nebenklagevertreter verzichteten in ihrem Plädoyer auf ein bestimmtes Strafmaß, gaben aber zu bedenken, ob die von der Staatsanwaltschaft geforderte Freiheitsstrafe auf Bewährung ausreiche. Die Strafe müsse zeigen, dass jeder, der eine erlaubnispflichtige Schusswaffe besitzt, bei einer Tat auch dafür haften muss, sagte der Vertreter von fünf Nebenklägern, Stefan Rabe, in seinem Plädoyer. Der Angeklagte habe nicht nur in einem kurzen Augenblick versagt, sondern sei bewusst fahrlässig gewesen . Ähnlich äußerte sich die Anwältin Michaela Spandau in ihrem Plädoyer: „Der Vater gab den Tötungsfantasien seines Sohnes einen reellen Nährboden. Wären die Waffen nicht real gewesen, wären die Tötungsfantasien Gedanken im Kopf geblieben.“ Die Freiheitsstrafe auf Bewährung sei nicht angemessen. Die Strafe für Jörg K. müsse deutlich höher ausfallen, forderte Spandau.

Traurige Stille herrschte im Gerichtssaal. Vor dem Prozess hätten sich die Eltern der getöteten Kinder oft gefragt, wie sie reagieren sollten, wenn sich der Vater des Amokläufers für sein Versagen entschuldigt, berichtete Rabe. Seine Mandanten seien bereit gewesen, auf den Angeklagten zuzugehen - bis es dieser nicht mehr für nötig hielt, vor Gericht zu erscheinen. Zuvor habe sich Jörg K. gegenüber den Angehörigen der Opfer „grob und stumpf“ benommen, nichts habe ihn berührt, kritisierte Uwe Krechl und fügte an: „Vielleicht kommt der Mann in der Verschlossenheit eines Raumes zur Besinnung.“

„Das gegenseitige Verständnis ist auf dem tiefsten Punkt seit Prozessbeginn gesunken“, meint auch Rechtsanwalt Michael Bagin. In der Eröffnungserklärung hätten Jörg K.s Verteidiger versprochen, mit dazu beizutragen, das „Warum“ der Tat zu klären. Aber der Vater habe verschwiegen, dass er von den Tötungsfantasien seines Sohnes gewusst hatte, und habe ihn an der späteren Tatwaffe sogar trainiert. So lange, bis dieser die Beretta schneller nachladen konnte als sein Vater. Es sei „zynisch“, wenn der Angeklagte über seine Anwälte verkünden lässt, es habe keine Anzeichen für den Amoklauf seines Sohnes gegeben, so der Nebenklagevertreter.

Die 19 Anwälte vertreten vor Gericht 43 Nebenkläger. Die meisten Nebenkläger sind Eltern, deren Kinder beim Amoklauf erschossen wurden. Der Vater wird beschuldigt, die Tatwaffe unverschlossen aufbewahrt zu haben. Damit hatte sein 17-jähriger Sohn am 11. März 2009 an der Albertville-Realschule in Winnenden bei Stuttgart neun Schülerinnen und Schüler sowie drei Lehrerinnen erschossen. Auf der Flucht tötete er drei weitere Menschen, bevor er sich selbst das Leben nahm.

Die Staatsanwaltschaft fordert eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung. Der Angeklagte habe nicht nur gegen das Waffenrecht verstoßen, sondern sich auch der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen und der fahrlässigen Verletzung in 13 Fällen schuldig gemacht. Am kommenden Dienstag sollen die beiden Verteidiger des Angeklagten zu Wort kommen.

Angehörige der Amok-Opfer wollen Schadensersatz

Die juristische Aufarbeitung des Amoklaufs von Winnenden wird auch nach dem Strafprozess gegen den Vater des Täters weitergehen. Hinterbliebene der Opfer wollen auf Schmerzensgeld und Schadensersatz klagen. Der Waiblinger Anwalt Jens Rabe, der einige von Ihnen vertritt, bestätigte am Donnerstag in Stuttgart, dass er nicht nur den Vater von Tim K. verklagen wolle, sondern auch das Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg (Kreis Heilbronn). Dort war Tim K. mehrmals untersucht worden. Bei seinem ersten Termin soll er gesagt haben, dass er einen Hass auf die ganze Welt hege und Menschen töten wolle.

Im Zivilprozess müsse geklärt werden, ob die Ärzte die Gefahr erkannten, die von Tim K. ausging und ob sie ihn richtig behandelten. Rabe wirft ihnen auch vor, die Behandlung des späteren Amokschützen nicht ordentlich dokumentiert zu haben. Angeblich wurde der Abschlussbericht erst neun Tage nach dem Amoklauf vom 11. März 2009 verfasst. Bei einer fehlerhaften Dokumentation müsse nicht er den Ärzten die Versäumnisse nachweisen, sondern die Beweislast liege dann bei den Beklagten.

Allerdings werde es noch einige Wochen dauern, bis Art und Umfang der Zivilklagen klar seien. Zunächst müsse das Urteil aus dem Strafprozess gegen den Vater von Tim K. gefällt sein und schriftlich vorliegen.