Nach Meinung des Gerichtsgutachters waren die Symptome dieser Störung nur “mäßig“ nach außen sichtbar gewesen. Tim K. war Einzelgänger.

Stuttgart. Der Amokläufer von Winnenden litt nach Einschätzung eines Gerichtsgutachters unter einer „ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung“. Geäußert habe sich dies etwa in seiner sozialen Außenseiterrolle und einem geringen Selbstwertgefühl des 17-Jährigen, sagte der Psychiater Reinhard Haller am Donnerstag im Prozess gegen den Vater des Amokläufers vor dem Stuttgarter Landgericht.

Die Symptome der Störung seien nur „mäßig“ nach außen sichtbar geworden, berichtete der von der Verteidigung beauftragte Gutachter. Nach seiner Hypothese hat Tim K. seine Gefühle möglicherweise über Monate aufgestaut, sei dadurch depressiv geworden und habe sich in eine fantastische Welt zurückgezogen. Es sei kein Zufall, dass der Täter ein guter Pokerspieler gewesen sei. Bei Männern äußerten sich Depressionen häufig in Form von Gewalt und Aggression.

Der Vater des Amokläufers muss sich vor Gericht verantworten, weil er die Tatwaffe unverschlossen im Schlafzimmer aufbewahrt hatte. Mit der Pistole hat sein Sohn am 11. März 2009 in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen und sich selbst erschossen. In dem Prozess geht neben dem vorgeworfenen Verstoß gegen das Waffengesetz auch um die Frage, ob der Vater den Amoklauf vorhersehen konnte und sich möglicherweise der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat.

Hätte der Vater die Gefahr erkennen können, die von seinem Sohn ausging? Anders als zuvor in einem Gutachten wollte sich Haller am Donnerstag in dieser Frage nicht mehr eindeutig festlegen. Es gebe zu wenige Erkenntnisse über Amokläufe, um eindeutige Schlussfolgerungen ziehen zu können, sagte der Psychiater. Er deutete aber an, dass es eher unwahrscheinlich sei, dass der Vater den Zustand seines Sohnes kannte. Sowohl er als auch sein Sohn hätten Gefühle schwer ausdrücken und erkennen können. Der Zugang zu Waffen sei das einzige durchgängige und eindeutige Risikomerkmal bei späteren Amokläufern.

Der Täter Tim K. sei nach dem ersten Schuss möglicherweise in einen „narzisstischen Höhenrausch“ geraten, habe sich als „gottgleich“ gesehen und Genugtuung daraus gezogen, dass andere Angst vor ihm gehabt hätten. Die Familie des Täters hätte im Gespräch nach der Tat vermutet, dass der 17-Jährige unter Druck gestanden habe und dies ein Auslöser gewesen sein könnte. Die Mutter habe aber den Eindruck gehabt, ihr Sohn habe die Tat schon lange geplant und sei am 3. März zum Üben in den Schützenverein gefahren.

Der Vater hat nach Auskunft Hallers bereut, die Waffe in den Kleiderschrank gelegt zu haben - angeblich um sich bei einem möglichen Einbruch verteidigen zu können. Der Angeklagte habe mehrfach gesagt: „Hätte ich das nur nicht getan.“