HSV-Sportchef Arnesen will eine begrenzte Ausnahmeregelung für den lizenzlosen Cardoso beantragen - als Platzhalter für Morten Olsen?

Hamburg. Früher war bekanntlich alles anders, allerdings, und darauf legt Frank Arnesen großen Wert, nicht unbedingt besser. Er selbst habe beispielsweise für die höchste Trainerlizenz, die ihm theoretisch sogar erlauben würde, den aktuell trainerlosen HSV zu trainieren, ganz praktisch mehr als acht Jahre gebraucht. "In den Niederlanden wurde man damals schneller Arzt als Trainer", sagte der sichtbar gut gelaunte Arnesen, der es sich gestern Mittag auch nicht nehmen lassen wollte, von seinen Anfängen als Co-Trainer in Eindhoven, seiner Fast-Teilnahme am Fußballlehrerkursus 1994 in Köln mit Berti Vogts und Rainer Bonhof und seiner mit sechs Jahren Verspätung geglückten Trainerprüfung in den Niederlanden zu berichten. "Am Ende habe auch ich irgendwie einen Schein bekommen", sagte Arnesen lächelnd.

Das Problem an der Geschichte: Arnesen hat seit rund zehn Jahren tatsächlich eine in der Bundesliga notwendige Trainerlizenz, der in Stuttgart so gefeierte Interimstrainer Rodolfo Cardoso dagegen nicht. "Wir stehen voll hinter Rodolfo. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden mit der Arbeit, die er in den vergangenen fünf Tagen geleistet hat", lobte Arnesen, der aber genau weiß, dass der Argentinier diese Arbeit wegen seiner fehlenden Fußballlehrerlizenz maximal noch eine Woche fortführen darf (siehe Infokasten) oder besser gesagt: eigentlich fortführen dürfte.

"Wir werden mit der DFL und dem DFB sprechen und prüfen, ob wir eine gemeinsame Lösung finden", sagte Arnesen, der Cardoso gerne länger als die vom Verband erlaubten 15 Tage in Amt und Würden belassen würde, um ohne Zeitdruck einen geeigneten Nachfolger des vor einer Woche entlassenen Michael Oenning zu suchen. Offiziell ließ sich Arnesen sogar dazu hinreißen, Cardoso im Falle einer Ausnahmeregelung als ernst zu nehmenden Kandidaten für den Rest der Saison zu bezeichnen: "Ich schließe nichts aus." Inoffiziell hat sich der Gesamtvorstand aber längst darauf verständigt, dass der Trainer der U 23 zwar eine ausgezeichnete Übergangslösung sei, eine sofortige Beförderung zum Cheftrainer aber zu früh käme.

Trotzdem hat Arnesens Vorstandskollege Joachim Hilke bereits gestern telefonisch bei der DFL und beim DFB wegen einer temporären Ausnahmeregelung vorgefühlt, heute soll eine schriftliche Stellungnahme des HSV folgen. "Wir nehmen die DFL und den DFB sehr ernst, deswegen wollen wir den offiziellen Weg gehen", sagte Arnesen, der ein Scheinmodell mit Fußballlehrer Frank Heinemann als Trainer und Cardoso als Teamchef ausschloss. "Grundsätzlich kann sich der Verein mit uns in Verbindung setzen, falls sich abzeichnen sollte, dass in diesem Zeitraum keine andere Lösung zustande kommt", sagte zwar DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus, eine langfristige Ausnahmeregelung gilt allerdings als nahezu ausgeschlossen. Eine schnelle Lösung, da wollte sich der Arnesen immerhin festlegen, sei mittlerweile mehr als unwahrscheinlich.

In Arnesens Heimatland Dänemark nimmt man die Hinhaltetaktik des HSV derweil mit einer gehörigen Portion Argwohn auf. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass Arnesen bestens befreundet mit Nationaltrainer Morten Olsen ist, diesen auch liebend gerne nach Hamburg gelotst hätte, das Vorhaben aber aufgrund der anstehenden EM-Qualifikation vertagte. "Ich rede sehr viel mit Morten", sagte Arnesen gestern, der die bestens funktionierende Kommunikation mit seinem Freund aber nicht als Indiz in der Suche nach einem HSV-Trainer gewertet haben will. Ganz verhindern konnte der 54-Jährige diese Schlussfolgerung allerdings nicht. Immerhin ist Dänemark aktuell Tabellenzweiter der Qualifikationsgruppe H, punktgleich mit Tabellenführer Portugal und mit dem Dritten Norwegen. In ziemlich genau zwei Wochen, nach den letzten beiden Spielen, ist somit klar, ob Dänemark zur EM fährt, in die Play-offs muss oder ausgeschieden ist. Im letzten Fall wäre Olsen frei für den HSV, sofern dem Verein im Fall Cardoso eine Fristverlängerung von einer Woche gewährt würde.

Tatsächlich muss diese auf den ersten Blick plausibel scheinende Kausalkette allerdings als hochspekulativ bezeichnet werden, was in Zeiten einer Trainersuche aber als Normalfall zu betrachten ist. Davon konnte sich jüngst auch Arnesen überzeugen, dessen Treffen am Wochenende mit Ex-HSV-Trainer Huub Stevens medial bereits voreilig als eine "definitive Einigung" gewertet wurde. "Nach den Gesprächen mit Huub habe ich die Entscheidung getroffen, dass er jetzt nicht die richtige Lösung für den HSV ist", sagte Arnesen, der gestern nicht näher auf die Gründe eingehen wollte: "Ich will über einen Trainer reden, der kommt, nicht über einen Trainer, der nicht kommt."

Folgt man dieser Logik, verbieten sich auch Nachfragen zu den angeblichen Kandidaten Louis van Gaal und Marco van Basten, die entweder nie ein Thema waren (van Gaal) oder kein Thema mehr sind (van Basten). "Es kann durchaus sein, dass in den kommenden Wochen weitere Kandidaten auf unserer Liste hinzukommen", sagte Arnesen, der sich nun auch fernab des Mainstreams auf die Suche nach einem Coach machen will. Einzige Bedingung: der Neue muss ein ähnliches Faible für Angriffsfußball pflegen wie er selbst. "Wir brauchen einen Trainer, der hundertprozentig für den HSV da ist", sagte Arnesen. Er selbst stehe im Übrigen nicht zur Verfügung - trotz Lizenz.