Der Argentinier startete seine kurze Mission als Chef beim HSV. Vor seinem Debüt gegen den VfB Stuttgart will er nicht viel reden - sondern handeln.

Hamburg. An seinem ersten Arbeitstag als neuer Cheftrainer des HSV hatte Rodolfo Cardoso gleich eine wichtige Frage. "Wo finde ich denn die Trainingstore?", wollte er vom Ordner am HSV-Trainingsplatz wissen. Der Mann reagierte verdutzt, eine solche Frage hatte ihm noch nie ein Cheftrainer gestellt. Tore aufstellen - das war doch immer der Job für die Assistenten.

Doch Cardoso tickt anders. Der 42-Jährige packt lieber selber an. Er schaute in den Materialraum, fand die Tore, schulterte sie und stellte sie auf. Auf seinen Trainingsplatz.

Rodolfo Esteban Cardoso, der zwischen 1996 und 2004 als Mittelfeldstratege des HSV in 111 Bundesliga-Spielen 17 Tore erzielte, ist jetzt der Chef. Interimschef, um genau zu sein.

Eine Einschränkung, mit der er sich nicht lange beschäftigt. Cardoso war schon zu Spielerzeiten nie ein Mann der großen Worte. Jetzt sagt er nur: "Für mich ist dieses Amt eine Riesensache. Ich bin jung und will lernen. Und das kann ich in diesen Tagen."

Die Last ist schwer genug. Der Argentinier soll den HSV nach einem verpatzten Saisonstart mit nur einem Punkt aus sechs Spielen wieder in die Erfolgsspur führen. Er ist nichts weniger als der Hoffnungstrainer des HSV. Und wohl nur für ein Spiel: am Freitag beim VfB Stuttgart.

Kann er das? Einer, der nicht einmal den Fußballlehrerschein hat? Den Schein, den man in der Bundesliga eigentlich braucht. Cardoso hat nie ernsthaft danach gestrebt. "Die Sprache war ein Hindernis", sagt er. Zwar spricht er nahezu perfekt Deutsch: "Aber deutsch schreiben ist schon ein Problem." Der nötige Fleiß wohl auch. Schon als Fußballer konnte er sich mehr auf sein Talent denn auf Fleißarbeit verlassen.

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Kein Wunder, dass der einstige Sportchef Dietmar Beiersdorfer im Frühjahr 2005 eine Menge Überzeugungsarbeit im Vorstand leisten musste, um seinen Wunschkandidaten Cardoso als Trainer der B-Junioren des HSV durchzusetzen. Schließlich galt der als Genussmensch. Beiersdorfer wusste aber um eine andere große Qualität des Südamerikaners: seinen Instinkt. Und er behielt recht: Sein Schützling eilte als Trainer von Erfolg zu Erfolg. Die B-Jugend machte er 2007 zum norddeutschen Meister, die A-Jugend führte er im Winter 2008 bis an die Tabellenspitze, ehe er vom Vorstand im Januar 2009 zum Trainer des Profinachwuchses bestellt wurde. Ebenso erfolgreich: Aktuell grüßt Cardoso nach fünf Siegen aus sechs Spielen mit der U23 von der Tabellenspitze der Regionalliga Nord. Und schon nach der Beurlaubung seines Vor-Vor-Vor-Vorgängers Bruno Labbadia im April 2010 war er als Interimslösung im Gespräch - wenn nicht der Schein gefehlt hätte.

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Diesmal hat es geklappt. "Wir haben keine zwei Minuten bei dieser Entscheidung gezögert", sagt Vorstandschef Carl Jarchow. "Er ist ein positiver Typ, der die Mannschaft begeistern kann", ergänzt Sportchef Frank Arnesen. Schließlich habe man einen Praktiker gesucht, der die Mannschaft schnell erreichen kann. Und der die im Fußball nach Trainerwechseln so beliebten "Einzelgespräche führen" kann? Cardoso winkt ab: "Geredet wurde genug. Es gibt nicht viel zu erzählen."

Dennoch will er der Mannschaft "wieder Leben einhauchen", ihr den Spaß am Spiel vermitteln. In Cardosos ersten 91 Trainingsminuten unterbrach der neue Chef kaum, überließ Korrekturen seinem Assistenten Frank Heinemann. In den Vordergrund mag er sich ohnehin nicht spielen. "Für den Erfolg einer Mannschaft sind die Spieler verantwortlich. Ich als Trainer komme nur ganz am Ende dazu." Er interpretiert seine Rolle als "Bauchtrainer", der sich alles anschaut und dann spontan entscheidet. "Ich denke mich in einen Fußballer hinein und überlege, wie es bei mir früher war. Und das funktioniert bislang ganz gut." Eine Selbsteinschätzung, die sein Ausbilder Bernd Stöber, Leiter der Lizenzausbildung des DFB, bestätigt: "Cardoso ist als Trainer so kreativ wie früher als Spieler. Man merkt, dass er das Gespür für Spieler und Situationen im Blut hat."

Auf große taktische Veränderungen wird Cardoso verzichten: "Was ich sehe, sind etliche Nationalspieler auf dem Platz. An Qualität fehlt es nicht. Die Mannschaft braucht nur Sicherheit. Deshalb werde ich hier keine großen Experimente starten." Schon beim nächsten Heimspiel gegen Schalke 04 am Sonntag, 2. Oktober, soll der neue Chef auf der Bank sitzen (siehe Text unten). Cardoso zeigt dennoch gesunden Ehrgeiz: "Auch ein Thomas Tuchel in Mainz oder ein Thomas Doll bei uns sind vereinsintern nachgerückt."

Doll wurde 2004/2005 beim HSV zum Retter und führte den Klub danach bis in die Europa League. Eines Tages, da ist sich Cardoso ganz sicher, wird man bei ihm den Zusatz Interims streichen können. Für den nächsten Termin zum Fußballlehrerschein 2012 wird er sich anmelden. Definitiv.